Die Titel Ihrer dramatischen Texte TRAKT, Die Galeere der Kaltblüter, Das Fest
der Schakale, hören sich ziemlich gewalttätig an. Die Untertitel -
Zärtlichkeiten eines Bunsenbrenners, Schauerfeldfragment, Die Anatomie
einer Braut - nicht minder. Was treibt Sie zum Schreiben monströser Texte?
Zuerst und zuletzt geht es um die immateriellen Elemente des Lebens. Sehnsüchte. Dämmerzustände, Phantasiestürze, Albtraumzuckungen. Todesahnungen. Und in allen Lebensformen, ob in der Liebe, in der Kunst, im Verbrechen, den Drogen, in Krieg oder Aufstand, suchen wir die transzendierte Form der Poesie. Eine Poesie, die uns zwischen den Absurditäten des Alltags, den Gemeinheiten und bösartigen Konflikten, wie exzessiv jene Situationen auch sein mögen, wahre Momente entspannter Schönheit schenkt.
Das
Martyrium-Kapitel im archangelsk-buch empfinde ich wie spezielle Szenerien im
"Fest der Schakale" eher als unerträgliche Zumutungen. Wie leben
Sie mit Ihren schwarzen Poesien?
Zugegeben. Selbst ich bin zuweilen einer dieser Mitternachtszombies. In den Sphären unseres schattigen Daseins Schakal. Bruder des Blutegels. Geierlunge. Hyänenherz. Fresse der Verachtung.
Man darf als Autor vor dem, was man schreibt, niemals zurückschrecken. Man darf sich nicht fragen, ob man Szenerien der Gewalt, Exzesse des Blutes, düstere Phantasien sich und der Welt, die schließlich eine große Schmerzarie ist, zumuten kann. Sollte ein Autor jemals Formen der Selbstzensur betreiben, hat er bereits verloren.
Die Uraufführung der "Galeere
der Kaltblüter"1 soll fürs Publikum eine extrem physische
Zumutung gewesen sein.
In Adolfo ASSORs GARN.Theater war es zu Spielzeiten der "GALEERE" immer sehr kalt. Eisigkalt. Das Thermometer zeigte bestenfalls 9o an. Das war eine Zuschauertortur! Er hat das Stück obligatorischerweise nur im Winter gespielt. Die aufgestellten Heizkörper in seinem undergroundigem Kellertheater waren nur Metaphern, die beruhigen sollten, aber nicht funktionierten. Die Zuschauer haben sich einen abgefroren. Aber das war nur konsequent. Und überhaupt bewundere ich die Konsequenz solcher Einzelgänger wie Adolfo Assor, der sein GARN.THEATER inzwischen im 17.Jahr bespielt. Ich glaube, man müßte ihn erschiessen, damit er aufhört, Theater zu spielen.
Was
fasziniert Sie an Killer?
Der kalkulierte Ausnahmezustand. Und zuweilen ihre Kraft, nachdem sie ein großes Verbrechen begangen haben, es eiskalt abzustreiten oder im Gegenteil, es eiskalt zu gestehen.
Weshalb keinen zeitnäheren Text über realexistierende Serienkiller, Amokläufer oder politische Massenmörder?
Solch ein Text würde von den Ereignissen
des katastrophischen Draußen rasch überrollt. In der Zeit überdauern letztlich
nur Dinge, die außerhalb von Zeit
angesiedelt sind.
"Hyänenherz" ist Ihre
4.Uraufführung. Wie kam dieser "Chaotenmonolog" ins ORPH Theater,
das sich die letzten Jahre doch eher auf Müller/Brecht spezialisiert hatte?
Ein
langwieriger, auch schwieriger - zuletzt aber ein sehr leichtfüßiger Prozess,
der nach dem Weggang von Susanne Truckenbrodt auch mit
Orientierungsveränderungen innerhalb des ORPH zu tun hat. Ein Prozess, der
Entwicklungszenarien der Annäherung2 beschreiben müßte.
In der Kurzfassung
landete der "Traum eines Kamikazefliegers" auf Bestreben Uwe Schmieders
im ORPH 2001 zum Festival neuer dramatischer Texte "Schlagwerk/Orphischer
Salon"2, wo ich zusammen mit Schmieder eine ziemlich schräge
textsezierende Performance präsentierte. Letztlich hat Schmieder an dem Text
nie mehr losgelassen und in seiner begeisternden Art nahezu alle jetzt
Beteiligten überzeugt, "Hyänenherz" in die Theaterwelt zu katapultieren.
Daß Hans-Werner Kroesinger für die Inszenierung gewonnen werden konnte, war
quasi das Bonbon des ersten NNU.
NNU? Hört sich an wie eine Partei.
Notwendiger Neuer Untergrund. Leicht formuliert,
ein von Schmieder ins Leben gerufener Theaterstammtisch, der vom Willen geprägt
ist, die Notwendigkeit eines subkulturellen Untergrunds auszuloten und in
der Folge auch umzusetzen.
Verstehen Sie sich als
Undergroundautor?
Nein, eigentlich nicht. Eher als
Peripherer, Abseitiger. Als einer, der in den Zwischenzonen von Poesie und
Theater agiert und dort Zeitlupenstudien ekstatischer Momente zu einem gefrorenen
Schrei verdichtet.
In den "Theaterperipherien"3 oder den mehrbändigen "Stück-Werken"4 deutscher Dramatik der 90iger Jahre tauchen Sie seltsamerweise nicht auf.
Das liegt daran, daß ich die wahre
Peripherie bin.
Man könnte leicht den Eindruck gewinnen, daß "Hyänenherz" unter dem Einfluss harter Drogen geschrieben sei.
Wenn man Kaffee, Nikotin und Whiskey zu
den inspirationseinflößenden Drogen zählt, dann ja. Aber im Grunde ist das genaue
Gegenteil der Fall. Der Text entstand aus der Konfrontation meiner
großstädtischen Nervösität mit der langweilig depressiven Einöde und der hyperrealen
Freundlichkeit im Gefangenenlager der Schöppinger Kunststiftung. Dazu zählt
- trotz aller Gegensätze - auch die überaus hässlich monströse Schmerzlandschaft
von LIMA in Peru, wo der "Traum eines Kamikazefliegers" beendet
wurde.
Scheint eher deprimierend denn
inspirativ gewesen zu sein.
Es gibt eine Serie von Fotos, die ich im
Zustand morgendlicher Verwahrlosung als Selbstportraits geschossen habe. Vor
mir in Schleyermanier ein handgeschriebenes Schild mit dem Kommentar:
Gefangener der Kunststiftung Schöppingen: 3.Tag; 7.Tag usf. Ich sah darauf
wirklich alt, verwahrlost und gefoltert aus.
Das
tip-magazin hat Sie einmal als bekennenden Artaudfan bezeichnet.
Inwieweit hat Artaud Einfluß auf Ihre dramatischen Arbeiten?
Streng genommen keine. Ich bin auch kein
Fan von Artaud. Ein Fan nimmt i.d.R. alle Ergüsse seines Idols zustimmungslos
hin. Das liegt mir fern, sonst könnte ich gar nicht arbeiten. Mich begeistert
viel mehr seine Unerreichbarkeit, die Abseitigkeiten, seine Konsequenz in der
Zerfleischung des Selbst. Meine textsezierenden Artaudlesungen5
sind eher Versuche einer Annäherung, um im Eintauchen der Texte ahnungsweise
die Abgründe zu erspüren, die ihn umgaben.
Gibt es Vorbilder, die Ihr Schreiben beeinflußt haben?
Typische Frage. Sehr wenige. Wenn, dann
eher kaum Bekannte. Nahezu Unbekannte, mit denen ich Ende der Achtziger zu
noch Westberliner Zeiten die Zeitschrift für Notwehr und Philosophie MINERVA6
herausgab. Ein echtes Undergroundprojekt, wie man sie heute kaum mehr
findet, wo Literaturveranstaltungen zu Heiterkeitssessions mutieren. Enno P.
Gramberg7 zum Beispiel. Oder Harry Hass8. Das
waren zumindest Experten im anarchischen Gebrauch von Wörtern. Und Genies
auf dem Felde poesie-literarischer Rezitationen. Dagegen sind
Verbrecherversammlungen, Poetryslams oder Chausseen von Enthusiasten nur
laue Lüftchen. Wenn tote Klassiker, dann allerhöchstens Rimbaud. Pessoa.
Und Danielle Sarréra!9 Diese Heilige der französischen Undergroundpoesie...
die dann doch ein Mann war.
Seit einiger Zeit wirken Sie in anderen Produktionen
und nun in "Hyänenherz" auch als Darsteller mit.
War das eine Aufführungsbedingung?
Nein. Ich sehe das eher als Fortentwicklung zu den dramatischen Lesungen, die als Textperformances zwischen Literatur und Theater funktionierten. Das hatte sich irgendwann erschöpft. Nach der Uraufführung des Schauerfeldfragmentes "Die Galeere der Kaltblüter" im GARN.THEATER wurde ich am ozeanischen Strand von Nazaré/Portugal überfallartig von dem Willen getrieben, selbst, allein, zunächst auf kleiner Bühne, mehr als nur eine bessere Lesung zu präsentieren und bearbeitete Textteile von Rimbauds "Une saison en enfer" zu einem Monolog unter dem Kapiteltitel "Böses Blut"10. Wieso ich dann in Ivan Stanevs "Villa dei Misteri"-Inszenierung mit Spielorten wie den Sophiensälen und dem grandiosen "Théatre de la Bastille" in Paris landete, ist mir bis heute ein Rätsel. Darstellerisch war das eher ein Irrtum, regiemäßig ein Fiasko.
Was erwarten Sie von einem
Schauspieler?
Daß er weniger Schauspieler als Darsteller ist. Daß er bestenfalls vergißt, daß er Schauspieler ist. Er oder sie sollte, wie Brutus in "Hyänenherz", von der Sucht befallen sein, während der Arbeit sein Herz schlagen zu hören. Sich verausgaben, selbst in den ruhigsten Momenten des Spiels oder der Sprache. Er muß daher zu einem Athlet seiner Organe heranreifen, dem der Puls zittert, dem das Blut in den Adern kocht, damit sein gesamtes inneres Nervengeflecht vibriert. Erst dann wird er seine Arbeit als eine außergewöhnliche, vielleicht sogar als eine gefährliche begreifen.
Welche Mühen und Probleme sehen Sie bei der Umsetzung Ihrer dramatischen Texte?
Das ist ein grundsätzliches Problem, das
mit Musik zu tun hat. Man muß die richtige Tonspur finden. Man muß sich also
auf die Suche nach dem richtigen Ton begeben. D.h. zuvor die Spur für den Ton
aufspüren, die Spur verfolgen, den Ton finden, ihn, den Ton, in sich einbrennen.
Wird der richtige Ton nicht gefunden, zerstört der Sprechende die Sprache auf
dilettantische Weise, die natürlich auch auf geniale Weise zerstört werden
könnte. Es handelt sich also um einen sprachkünstlerischen Hochseilakt,
auf dem der Darsteller balancieren muß. Selbst wenn er scheinbar ganz einfach
spricht, besteht die stete Gefahr mit jedem Wort abzustürzen.
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Das Gespräch erschien erstmals 2003 im MATERIALHEFT
zur URaufführung von paul m waschkau’s Killer/Terrordrama
HYÄNENHERZ.TRAUM EINES
KAMIKAZEFLIEGERS im ORPH.THEATER BERLIN
und war von 2003-2008 publiziert auf der Text- & Theoriesite www.Lucid-Zoom.de.
1 Uraufführung von "Die Galeere der
Kaltblüter" - GARN.THEATER Berlin 1998/1999; 44 Vorstellungen.
2 Paul M Waschkau im ORPHTHEATER
Autor
& Darsteller von/in "Hyänenherz"; Inszenierung: Hans-Werner Kroesinger;
ORPHTHEATER 2003 # Teilnehmer und inzwischen Mitgestalter des NNU 2003 #
Darsteller
im "Arsenik.Blüten.Projekt" nach Texten von Danielle Sarréra -
4/2003 # Textsezierende Performance von "Hyänenherz" zs. mit Uwe
Schmieder - Festival neuer dramatischer Texte "Schlagwerk/Orphischer
Salon" - 6/ 2001 # Lesung aus "Orphische Gesänge" von Dino Campana
zum 10jährigen des ORPHTHEATERs - 11/2000 # Buchpremiere des romantischen
Fragments "archangelsk/träume aus titan" - 9/1999 # Textdramatische
Mitarbeit am gescheiterten "Pippa-Projekt" Sommer'99
3 Theaterperipherien; Konkursbuch 35; Hrsg.
Hartmut Fischer; Konkursbuchverlag C.Gehrke, Tübingen 2001.
4
Stück-Werk, Arbeitsbücher über Autoren deutschsprachiger Dramatik der 90iger
Jahre; Hrsg. Theater der Zeit & Internationales Theaterinstitut
5 Textuelle Artaud-Sezierungen
"Alles
muss haargenau in eine tobende Ordnung gebracht werden!" - daLANDda-club
2002 / Artaudfestival im Kunsthaus Tacheles 1996 / Roter Salon der Volksbühne
1996 # "Schluß mit dem Gottesgericht" - Büro Artaud Berlin 1999 #
"Van Gogh - Selbstmörder durch die Gesellschaft" - Kabinett
"Die Kahle Sängerin" 1994 #
"Alles
muss haargenau in eine tobende Ordnung gebracht werden!" # "den
körper meiner inneren nacht erweitern" - Pathos Transport Berlin 1997
& 1999
ARTAUD-CD:
"Die Frage stellt sich" - CD-PRESS: www.Lucid-Zoom.de 2001
6
Die „Zeitschrift für Notwehr und Philosphie MINERVA" erschien
1988-91 in einer Auflage von 1000 Ex. in Berlin-West.
7
Enno P. Gramberg;
"Deutschlands größter Dichter" verstarb im Januar 2000.
War
1990 auf Einladung zs. mit Paul M Waschkau, Olaf Arndt & Andreas Dury zu Lesungen
und Vorträgen in Leningrad.
8 Harry Hass - Autor von "Koko
Metaller"; Ende der Achtziger Jahre im 20.Jh. Barkeeper im Ex&Pop.
9
Danielle Sarréra, Dichterin der "Arsenikblüten", die im
Spätherbst unter dem Titel "ALASKA" von der Gruppe "Arsenik.Blüten" unter textueller
Dramaturgie und Darstellung von paul m waschkau zs. mit Lilith Rudhart &
Anna Kullick zur Aufführung im ORPHTHEATER kommen wird. Mitte der 90iger Jahre
wurde der Mythos um D.S. gesprengt, als bekannt wurde, daß Fréderic Tristan
Autor der "Arsenikblüten" ist (fr.Originaltitel: Journal).
10
- "Böses Blut" nach Rimbaud; Büro Artaud Berlin 1998;
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