paul m
waschkau
PROLOG zum ARTAUD.KONGRESS am 3.4.2009 in theaterkapelle Berlin
........für ein Artaud.Tribunal
Wenn es überhaupt etwas Infernalisches, wirklich Verruchtes gibt
in dieser Zeit, so ist es das künstlerische Haften an Formen, statt zu sein wie
Verurteilte, die man verbrennt und die von ihrem Scheiterhaufen herab Zeichen
senden. ____________________________________________________________________ ANTONIN ARTAUD
INHALT >>> I. Wider dem Morast
des Faktischen II. ARTAUD, DIESER Partisan der Poesie III. Das Phänomen Artaud
IV. Der
Ernstfall DER LITERATUR V. Der Schrei eines Dichters
VI. ARTAUD TRIBUNAL VII. Schrei oder Furz
I.
Zugegeben oder nicht, in allen Kunstformen geht es
- zuerst und zuletzt - um die immateriellen Elemente des Lebens. Und weil
die Realitäten der Alltäglichkeit nur selten den STOFF bereit halten, von
dem wir träumen, suchen wir in allen Lebensformen, ob in der Liebe, in der
Kunst, im Verbrechen, den Drogen, in Krieg oder Aufstand, die transzendierte
Form der Poesie. Eine Poesie, die uns zwischen den Absurditäten des Alltags,
den Gemeinheiten und bösartigen Konflikten, die uns zwischen den Sehnsüchten,
Dämmerzuständen, Todesahnungen, wie exzessiv jene auch sein mögen, die wahren
Momente von Zauber und Schönheit schenkt.
Denn während DER GROßE REST DER REPUBLIK
sich auftragsgemäß & gehypt bis zum
Erbrechen an medial politisch-reale HYPERereignissee wie JUBILÄEN
(aktuell: Fall der Mauer; Wiedervereinigung), Wahlen, Arbeit & Finanzkrisen
verschwendet und/oder an der xx.ten NeuInterpretation von MeisterwerkeN der Kunst versucht, an
denen sich alle ANGESTELLTEN reiben müssen, deren Bestreben es ist, wichtiger
Teil eines kulturpolitischen BETRIEBSSYSTEMS zu werden oder zu bleiben...
...habe ich paul m waschkau mich - von
Zeitströmungen und Förderspritzen unbeirrt – allein & mit der FORMATION
INVASOR auf geheime Schleichwege feinfühliger wie brachialer Poesie begeben, um
zumindest ansatzweise dem MORAST DES FAKTISCHEN zu entkommen, den wir eh
gezwungen sind, tagtäglich zu fressen.
Denn die Tatsache, sich dem Realen zu
verweigern, kann die höchste Form von Kritik sein!
Auch kann und sollte – MUSS - Theater mehr sein als die öffentliche
Vorstellung eines Textes vor Publikum. Mehr als die performative Darstellung
von Körper oder Sprechkunst. Es kann sich
- im besten Falle - zum LABOR für LEBENS ARBEIT TRAUM FORSCHUNG verwandeln
oder die Tür zum Korridor ins Labyrinth visionärer Poesie öffnen, die spüren
ließe, was DER HAUCH DES EVENTUELLEN sein könnte. Das ist das, was die
meisten TheatermacherInnen sich erwünschen und die allerwenigsten erreichen.
Und ob es mit dem MENSCHEN, wie er konstituiert ist und existiert, überhaupt
erreichbar ist, bleibt sowieso zweifelhaft.
#
II. Antonin Artaud - dieser PARTISAN DER POESIE,
Ghostrider des Undergroundigen, Widerspenstiger eingerasteter Konventionen, den
man oft und mit dem Lächeln des Erhabenen THEATER.GURU nennt, weil sein
Einfluss, der Einfluss seiner Ideen auf das Theater so immens wichtig
war... ER hat das von ihm skizzierte
THEATER DER GRAUSAMKEIT selbst nie umsetzen können und ist seiner Idee am
nahsten vielleicht in dem Hörspiel ___ Pour
en finir avec le jugement du dieu # SCHLUSS MIT DEM GOTTESGERICHT ___ gekommen,
das kurz vor seiner radiophonischen Ausstrahlung im Februar 1948 vom Sender
abgesetzt, also NICHT ausgestrahlt wurde, weil man einen gewissen negativen
unkontrollierbaren Einfluss des Hörspiels auf das französische Volk
befürchtete. Das THEATER DER GRAUSAMKEIT war seinerzeit also nur ein essayistisches
Manifest, das aber als Brutstätte, Virus, Ideenspender ganz ausgezeichnet
funktioniert hat.
#
III. Das Phänomen Artaud
Sich dem Dichter, Denker, Theatermacher,
Visionär, Genie, Krankem und auch als wahnsinnig bezeichneten ANTONIN ARTAUD
anzunähern – und nichts anderes als eine ANÄHERUNG ist in diesem Falle möglich
- heißt, sich in ständig wechselnder Versuchsanordnung der Basis des Körpers,
der Sprache, des Nichts annähern, heißt - die Grenzen zwischen Poesie & Theorie,
die Grenzen zwischen Schmerz und Wahnsinn auszuloten, heißt - bis an die Grenze
des Möglichen gehen, um das Unmögliche zu erreichen. Heißt als Theatermacher
Schauspieler Performer DarstellerIn vor allem keine Angst haben. Keine Angst
haben, Knochen zu zeigen. Keine Angst haben - Fleisch zu zeigen. Keine Angst
haben, Schmerzen zu zeigen und das Theater als Versuchsfeld zu akzeptieren .
Heißt Schrägheiten Unsicherheiten Peinlichkeiten - die es sowieso nicht gibt -
zuzulassen. Denn die Grenze des UnMöglichen ist zuallererst immer die eigene
Grenze.
Ich selbst habe vor 20 Jahren begonnen,
mich dem PHÄNOMEN ARTAUD anzunähern. Ende der 80iger Jahre - im
damaligen BERLIN_WEST - als verstörter unsicherer junger Bewunderer des auch
namentlich sogenannten THEATER ANTONIN ARTAUD unter der Leitung von Susanne
Husemann & Jean Marie Bovin sowie den Theaterformationen 100.FLECK &
ZIGURI EGO ZOO, beide geleitet von Dieter Kölsch. Aber auch Gruppierungen wie
das von Arthur Kuggelyn geführte RAMMtheater oder brachiale Einzeltypen wie Mex
Schlüpfer transportierten in der Berliner OFFszene sehr lebendig den Geist
Antonin Artauds. Doch seit dem KONGRESS im Tacheles 1996 aus Anlass des
100jährigen Geburtstags, ist es um den reinen Artaud in Berlin sehr still
geworden. Die einzige - ganz egomanische - Spur, die direkt in diesen Kerker
führt, geht vom 1998 gegründeten BÜRO ARTAUD aus, wo - BÖSES BLUT # Mauvais Sangue nach - Une saison en enfer // Eine Zeit in der Hölle
- von jnaRIMBAUD zur Aufführung kam wie weitere 13 performative
Artaud.Sezierungen unter dem Titel : SCHLUSS MIT DEM GOTTESGERICHT. Und das von mir
begründete BÜRO ARTAUD wurde immerhin zu dermaßen schrägen Unorten wie der
Berliner Volksbühne, dem Club of T’Schunk, ORPHtheater, nach Marseille &
mit einer Hörspielkomposition ins MedienLabor Tesla eingeladen. INVASOR ist
gewissermaßen eine Transmutation des BÜRO ARTAUDs, allerdings offener für Black
& GhostRider aller Kunstsparten.
Seither
trete ich - PAUL M WASCHKAU - selbst Dichter/Dramatiker, Theatermacher, PARTISAN
DER POESIE - mit abseitig publizierten
und uraufgeführten Texten am Abgrund des
Theaters wie den Schauerfeldfragmenten Galeere der Kaltblüter; Hyänenherz/Traum
eines Kamikazefliegers oder dem Hetz.Traum.Drama Das
Fest der Schakale in regelmäßiger Konsequenz meine REISEN IN DIE WÜSTEN ARTAUDS an, um winzige Teile seiner kryptischen
EGO.TRAUM.SPLITTER in sich stets verändernden dramatischen Kompositionen aus
Medialschnitten, Industrialsounds & FilmSequenzen ...mit einem Gefühl scharfen
Brennens in den Gliedern ... zu sezieren und als brachiale wie feinfühlige, immer einzigartige
dramatische Liturgie zu zelebrieren, mit der sich Artaud feiern, begraben oder
neu entdecken lässt!
Was
mich an ARTAUD fasziniert, ist die Angstlosigkeit, die Klarheit und das offene
Wagnis an die Grenzen des Sagbaren und Erfassbaren zu gehen und das Ausloten
dieser Grenze, die im Schlachtfeld des eigenen Körpers kulminiert, zum Thema zu
machen. Es sind zudem ARTAUDs Fieber
Traum Nerventexte, die mir wie Funken aus einer fremden Welt entgegenblitzen
und den schmierigen Staub eines stinkenden mich umgebenden KulturKadavers
durcheinanderwirbeln und die einem KRAFT verleihen, sich aus den uns
einlullenden Kultursoßen immer wieder zu befreien. Texte wie... VAN GOGH,
der Selbstmörder durch die Gesellschaft. # Die Nervenwaage # Fragmente eines
Höllentagebuches # Oder seine Briefe über Lautréamont, Baudelaire & an
Albert Camus... Das sind glühende Schätze, wie es sie nur bei den ganz raren
AUSNAHMEDICHTERN gibt. Und oft sind es
nur Einzelsätze, die wie pulsierende MANIFESTE nach Umsetzung schreien oder die
Musikalität für eine ganze Symphonie in sich bereit halten, die plötzlich explodieren
könnte.
111 X .............. Alles muss haargenau in eine Tobende Ordnung
gebracht werden !
Wer das einmal begriffen hat, hat auch
begriffen, dass mit Artaud keine Preise zu gewinnen sind. Dass es nur wenige
Verbündete gibt. Die Urteile über ihn sind oft vorgeformte Abkanzelungen, die
3,4 Sekunden dauern. Urteile, die zum Schutze eigener Belanglosigkeiten benutzt
werden. Es ist ein leichtes, Artaud als alten Hut, Marotte, geisteskranken
Querdenker zu bezeichnen, wie man es mit Van Gogh, Nerval, Lautréamont,
Hölderlin, Nietzsche und dem italienischen Dichter DINO CAMPANA getan hat, der
wie Artaud in der ersten Hälfte des 20.Jahrhunderts ebenfalls mehrere Jahre seines
Lebens in europäischen Irrenanstalten verbracht hat.
2007 zelebrierte INVASOR das Kapitel LA
NOTTE aus den Orphischen Gesängen/Canti Orfici von Dino Campana. Und damit wird
ein wenig erkennbar, worauf es mir & der FORMATION INVASOR ankommt, nämlich
- seltene schräge nahezu unbekannte Poesie theatral/performativ oder einfach
nur textsezierend zu präsentieren und versuchsweise zu zeigen, dass diese
POESIE dem Menschen näher ist, als die anderer so berühmter Lyriker. Und dass
Poesie polyszenisch dramatisch kompositorisch mit der uralten Form des Theaters
zelebriert werden und Horizonte eröffnen kann, die die meisten im Theater nicht
vermuten. Und wenn es einem gelingt,
zum Publikum in einer oder mehreren Sprachen zu reden, in der nichts gesagt,
aber alles erahnt wird, und eine fast zeitlose Offenheit spürbar ist, wenn
einem das gelingt, .... wenn einem das gelingt... ja dann.... dann ist einem etwas Besonderes gelungen, selbst wenn
es nur wenige beflügelt.
Und
ich behaupte, daß es der FORMATION INVASOR mit der performativ konzertanten
Komposition EGO.TRAUM.KRYPSIS.3, die in der tk
vom 16.3. bis zum 4.4.2009 zu sehen war, eine Inszenierung die das BASIS.GESCHOSS dieses Kongresses ist,
der es auf eine ganz spezielle Weise gelungen ist, dieses unsagbare Besondere ,
diesen Hauch des Eventuellen nicht nur aufzubieten, sondern in einer Art
experimenteller Demonstration einer unergründlichen Identität von Konkretem und
Abstraktem spürbar und fühlbar zu machen. Und zwar auch weil die minimalen
Textfragmente Träume Sätze dermaßen von Brandwunden Tumoren Alpträumen
durchzogen sind, dass sie ohne Blessuren nicht zu bewältigen waren. Ich
behaupte – ganz egomanisch - darüber hinaus, daß in der Inszenierung >>>EGO.TRAUM.KRYPSIS.3 <<<
- im Laufe von 77 Minuten mehr
„re.act.artaud“ steckt, als es dieser ganze KONGRESS zu versprechen
scheint. Und das auszusprechen, ist natürlich eine Beschämung und eine
Anstachelung zugleich, von der ich weiß, daß ich sie mir erlauben kann....
>>> Denn, ich, in meinem Körper, ich, mein
ganzer Körper, ich weiß alles. <<<
Wer aber war ANTONIN ARTAUD?
Was war Artaud?
„Ein Körper
eine Masse,
ein Gewicht,
ein Raum,
ein Umfang,
eine Ausdehnung,
eine Schrägfläche,
ein Abhang,
eine Fassade,
eine Wand,
eine Lateralität,
ein Phänomen,
eine Tatsache,
eine Expansion,
eine Extension,
ein Druck,
eine Oppression
eine Beize
eine Fähigkeit
Konstitution,
Institution,
Kollusion,
Kohäsion,
ein übermäßiger Trieb,
ein Etwas.“
Ein
Etwas, das ein Körper war. Ein Körper, der hustete, spuckte, sich schnäuzte,
nieste,
schniefte und keuchte, wenn er schrieb.
Denn es ist immer der Körper
des
Schriftstellers der schreibt, wenn er schreibt.
IV.
ARTAUD
ist der ERNSTFALL,
die Sprache der Qual, schreibt Heiner Müller in einem sehr kleinen Fragment. Ernstfall des Theaters und der Literatur. Sprache des Schmerzes, des Schreis, des Fleisches, des Nichts.
Grenze zwischen Poesie Genie & Wahnsinn. Ein Ernstfall, der in seiner irren
Vielfältigkeit fasziniert, weil er an Grenzen des UnMöglichen kratzt und die
Frage aufwirft, wie mit solchen Ernstfällen umzugehen ist.
ARTAUDs SCHREI, der immer auch ein SCHREI
DES KÖRPERS ist, der SCHREI eines GESCHÄNDETEN KÖRPERS, steht exemplarisch für alle Schändungen,
die tagtäglich unter der Folter der Sonne geschehen. Und es braucht eine
immense Kraft, sich darauf einzulassen. Und weil ICH das weiß, werde ich – hier
& heute - keinen Text von Artaud
vortragen, weil es mir unangemessen und falsch erschiene.
Um Artaud angemessen zu rezitieren, um seine
Texturen in einer Ballung von artifizieller Kraft zum Explodieren oder
zumindest zum Kochen zu bringen... muss man, in aller Regel, einen ganzen
ReaktivierungsProzess aus Gefühlsstauungen, Kompressionen, Extensionen,
Impressionen durchlaufen haben. Man müsste sehen und verstehen, daß die meisten
seiner Texturen im Schmerz und mit Blut geschrieben wurden. Daß sie mit
fletschenden Zähnen, mit Feuer, Wasser, einem Beil oder auf den Knien kriechend
vorgetragen werden müssten. Und dann darf man sich einen Dreck
darum scheren, ob die Wörter, die sich im Kehlkopf bilden und den Rachen über
den Mund verlassen wie Französisch klingen, Bilanesisch Deutsch Russisch Englisch
Suahelisch Brasilianisch oder PapauAnisch. Das alles ist nicht wichtig, wenn die Laute wie Musik sich aus
dem Geschriebenen herauslösen und sich aufblähen zu Stimmen, die nicht von
dieser Welt sind, um ihre ganz eigenen Bilder und Gemälde zu kreieren.
Um also Artaud angemessen zu rezitieren, müsste
man
a)
in allerbester Verfassung sein muss und
b)
in der Lage, Blut durch
den Nabel zu scheiSSen.
Und wenn man das gerade nicht kann, sollte
man/frau zumindest die Kraft und die Ausdauer haben,
eine Stunde mit einem Schürhaken auf ein und
dieselbe Stelle zu schlagen.
Daher ist dieser kleine Beitrag mit seinen Bezügen, Hinweisen
& Zitierungen nur ein bescheidener Anfang,
eine intellektuelle Herrlichkeit,im eigentlichen eine heuchlerische
Angeberei, ergo eine Schweinerei!
V. DENN wenn
ein Dichter einen Schrei ausstößt und Artaud ist mehr Dichter denn Theoretiker, ist mehr ein durch Schmerzen behinderter klar sehender
Kranker, der seine Schmerzen singt wie in einem allumfassenden
Menschheitsrequiem. Ein Dichter, der den inneren Bruch der Verbindung aller
Nerven benennt und erkennt. Der seinen unbeständigen Taumel wie eine Art
verstecktes Flimmern vor den Augen lokalisiert und als Weiser Nichtwissender weiß, dass Ideen Bilder Wahrheiten wie
eine ferne Hitzegerinnung als Fata Morganen zerfließen. Der auf das Denken und
Argumentieren und Schreiben offizieller Gesunder scheißt. Gesunder
Gesellschaftsmenschen, die auf ihre Gesundheit und ihr so oft in Zeitungen und
Büchern und sonstigen Allmedien präsentiertes Urteilsvermögen so stolz sind,
weil sie mit einem Denken argumentieren, das sich im Reich offizieller Sprech-
und Verhaltensgrammatik etabliert und durchgesetzt hat. Allerdings auf eine
Weise, die an Grausamkeit nichts zu wünschen übrig lässt und deren Wege und
Plätze voll sind von Blutspuren
Verstümmelter, von abgerissenen Gliedern und massakrierten Körpern!
Daher wird es zeit abzurechnen.
Es wird Zeit für ein Tribunal.
es wird Zeit für ein Artaud-Tribunal!
Und DieSE Zeit ist nun gekommen.
VI.
Natürlich
stellt sich die Frage... La question se pose...
was 1 ARTAUD
TRIBUNAL sein will. Was
1 ARTAUD TRIBUNAL sein kann. Was 1 ARTAUD TRIBUNAL sein soll. Was 1 ARTAUD TRIBUNAL sein muss. Was es
erreichen will/ soll/ kann/muss.
Ein
ARTAUD TRIBUNAL, das zugleich größenwahnsinnig als
KONGRESS° daherkommt. Und doch handelt es sich um einen KONGRESS, da er in einer Konzentrierung von Strömungen, von
Individuen, die am Abgrund künstlerischer Prozesse arbeiten, versucht,
sich dem PHÄNOMEN ARTAUD in einer Art Umkreisung anzunähern.
Obwohl
voller Lücken, übervoll von Lücken, abstrakt unkonkret offen, mit klaffenden
Kratern von Auslassungen, mit riesigen Flächen von Leere, machtlos, doch
punktuell heroisch.... können wir froh sein, daß uns ARTAUD aus seinem Grabe
heraus nicht immerzu mit Stücken oder Büchern bewirft, DIE als MEISTERWERKE
zu KOMPLIZEN der MACHT geworden sind, von denen man sich nicht mehr lösen
kann und mit denen man wie ein Zombie durch die Städte geistert. Und da es
zudem keinen exemplarischen Geburtstag gibt, ist klar, daß es hier und heute
nicht um falschen Kult oder Weihrauch geht. Nicht um offizielle Huldigung oder
der feierlichen Ent/Weihung eines Toten. Und schon gar nicht um eine
Bestandsaufnahme von Forschungsergebnissen aufgrund eines Datums. Es geht
bestenfalls um eine Art Reaktivierung einer schlummernden Kraft, die diesem
Thema innewohnt. Einer Kraft, die zugleich Kraft gibt, sich in der Welt der
ekelhaften Geister, die das gesellschaftliche ergo private Leben sehr
einflussreich bestimmen regeln reglementieren, eine Oase zu erbauen, die
vielleicht wie ein VIRUS oder eine PEST daherkommt und die bereit ist, die uns
stets einlullenden Zungen an die Wand zu nageln oder sie durch den Fleischwolf
zu jagen.
Als Initiator dieses Tribunals
sehe ICH diesen KONGRESS als eine Reise, die die Ränder der kryptischen
EGO.TRAUM.WÜSTEN ARTAUDs im Ungewissen streift. Weil das Verlassen des
Ungewissen ins Konkrete/Präzise/Klare im Artaudschen Sinne eine Schweinerei
wäre und weil man – in meinem Sinne -
dort, wo man konkret wird, das Geheimnis der Dinge
zerstört. Ich selbst
würde es als schädlich empfinden, wenn das ARTAUD TRIBUNAL zu einem Ergebnis,
zu einer Lösung, zu einem Resultat käme. Man hätte etwas erledigt, was nicht zu
erledigen ist. Was im Gegenteil von einer großen Offenheit lebt. Mögen die
wenigen Oasen, die wir ansteuern, zu Steilvorlagen für wuchernde
TraumLandschaften aus neueN Blumen NeueM
Blut neueM Fleisch werden. Und wenn diese Initialzündung nicht heute
geschieht, dann eben morgen in 7 oder 63 Jahren. Und daß irgendwelche Amateure
billigen Lebens ihre ganze Kraft dafür einsetzen, die Sache zum Scheitern zu
bringen, zeugt dafür, daß es hier um etwas geht. Versuchen wir also alles. Und rechnen wir
mit Nichts. >>> Denn das Leben
selbst ist keine Lösung. Es ist nur eine Reihe gegnerischer Begierden und
Kräfte, wie kleiner Widersprüche, die je nach den Umständen eines abscheulichen
Zufalls zu etwas führen oder scheitern.
<<<
VII.
Zuletzt
- und damit schließe ich diesen ProLog – schreibt Artaud in seiner
exemplarischen Hymne auf Van Gogh:
°Man kann bei Van Gogh von geistiger Gesundheit sprechen, der
sich während seines Lebens nichts als eine Hand verbrannt hat und im übrigen
nichts weiter tat, als sich einmal das linke Ohr abzuschneiden, in einer Welt,
in der man jeden Tag in grüner Soße gekochte Vagina ißt oder die Genitalien
eines Neugeborenen ausgepeitscht und in Raserei versetzt (...). Und das ist
keine Vorstellung, sondern eine ausgiebig und tagtäglich in der ganzen Welt
wiederholte und kultivierte Tatsache.
Und folgendermaßen, so verrückt diese Behauptung auch scheinen
mag, behauptet sich das gegenwärtige Leben in seiner alten Atmosphäre der
Schändung, der Anarchie, der Verwirrung, des Wahnsinns, des chronischen
Irrsinns, der bourgeoisen Trägheit, der psychischen Anomalie (denn nicht der
Mensch, sondern die Welt ist abnormal geworden), der willentlichen Unehrlichkeit
und kolossaler Heuchelei, der schmutzigen Verachtung für alles, was von Rasse
zeugt, der Beanspruchung einer Ordnung, die gänzlich auf der Erfüllung einer
primitiven Ungerechtigkeit basiert, kurz: des organisierten Verbrechens.
Wenn
also ein Dichter einen Schrei ausstößt, ist das oft ein schöner Braten für die
öffentliche Unendlichkeit, die diesen Aufschrei in aller Regel
ausschlachtet zum Nachteil des Schreienden. Gegen den Schreienden, der oft nur
noch wispert und flüstert. Also muss dieser Braten geschmort werden. Auf dem
Fest der Schakale. Im Blutrauschs des Hais. Mit einer Prise Arsen. Und das darf
auch in einer watteartigen Leisigkeit geschehen. Denn dass ein Fest allein aus
Huri-Schreien bestehen müsse, ist ein uralter Irrtum, der ins Niemandsland
führt.
Man kann aber auch einfach nur einen Furz lassen.
Und damit ist die
Diskussion beendet.
#
Am
vom INVASOR am 3.4.2009 in der tk initierten ARTAUD.KONGRESS nahmen ca. 33
KünstlerInnen aller Genres teil. Passagen dieses PROLOGOs flossen textuell ein
in die am 9.11.2009 vom NACHTFLUG
INVASOR komponierten im
HerbstRadio auf UKW 99,1__FM BERLIN ausgestrahlten audiophonen
HörspielKomposition:
>>> Hallo Artaud – oder – Man soll mich doch in Ruhe scheissen
lassen! <<<
° Antonin Artaud: Einleitung zu: Van Gogh, der Selbstmörder durch
die Gesellschaft
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