paul m waschkau

 

„Hier in Neukölln leben dermaßen viele Woyzeks, dass es ein Wunder ist, dass so wenige Morde geschehen.“

 

 

 

NEUE STÜCKE VOM RANDE DER WELT 

Prolog zum 1.Neuköllner Dramatikertreffen am 18.6.2007

Auszüge aus dem Vortrag -– Kompletter Vortrag à hier

 

Wer sich bequem auf sicherem Terrain bewegt, zerstört das Theater.

 

Wüstenartige Landschaften, durch die Karawanen ziehen oder eine Formation von Panzern. Ruinenstädte in Krisengebieten, Elendsquartiere in fernen Ländern. Eine Südpolstation mit Gestrandeten, sibirische Einsamkeiten oder eine dem Untergang geweihte Insel - so stellt man sich vielleicht die Orte vor, wo die NEUEN STÜCKE VOM RANDE DER WELT spielen. Doch der Rand der Welt kann sehr nah liegen. Und zwar so nah, dass man ihn als Rand gar nicht wahrnimmt.

 

Und was wären die Zentren, deren Mitte meist

klein ist, überhaupt ohne die Ränder, ohne den Rand?

Was aber ist das für ein Ort hier?

Ist das ein Vorort der lebenden Toten?

Ein Ort toter Untoter? Ein ge­heiligter Ort? Ein Ab­ort?

Dann müsste ganz schnell der Bo­den die Decke die Wand desin­fiziert werden und ausge­brannt.

Das könnte unter Umständen Jahre dauern. Das könnte un­ter Umstän­den das vor­zei­tige Ende bedeuten.

Aber dann gingen wir einfach nach Hause, legten uns schlafen und fin­gen mor­gen früh wie­der an. So einfach ist das. Ja ja. So einfach ist das.

 

 

Was ein Theater am Rande der Welt unbedingt leisten muss... Zeitgenössisches Theater und zeitgenössische Stücke von lebenden AutorInnen. Stücke über die geredet, diskutiert und gestritten wird. Stücke die den Nerv der Zeit streifen und Probleme der menschlichen   Existenz umkreisen. Und denken wir stets daran! Noch immer sind es die AutorInnen, die das Theater mit ihren Stoffen beleben, ohne die die meisten Theater und ihre Macher NICHTS sind.

 

 

Wer sich bequem auf sicherem Terrain

bewegt, zerstört das Theater.

 

Kunst ist nicht das, was man kann. Was man kann, das kann man, das ist keine Kunst. Kunst ist das Wagnis, unbekannte Wege zu erkunden, sie auszumalen, Brücken zu schlagen zu fernen Ufern, auch auf die Gefahr hin, das anvisierte andere Ufer zu verfehlen. Denn Scheitern gehört zum Wesen der Kunst und ganz besonders zum Theater. Das sollte man nie vergessen.

 

Das Theater eines Stadtrandbezirkes wie Neukölln

sollte sich aus seinen gesellschaftlichen Explosionen konstituieren.

Aus seinen Perversionen und aus seinen verborgenen Poesien.

Hier leben dermaßen viele Woyzeks, dass es ein Wunder ist,

dass so wenige Morde geschehen. Und Woyzek lebt

bekanntlich dort, wo der Hund begraben liegt.

Kein schöner Ort.

 

WIR brauchen dringend Visio­näre! Auch hier und ganz besonders hier: In Neukölln. Nicht nur unter den Dichtern & DramatikerInnen, sondern auch unter den RegisseurInnen und den SchauspielerInnen, die es sich verbieten sollten, sich in tödlichen Bequemlichkeiten einzunisten. Wir brauchen solche, die sich zwischen den Extremen zu Höhen aufschwingen, wo neues Blut kocht, wo neue Blumen, neues Fleisch, neue Landschaften entstehen.

 

 

 

Wir brauchen eine Kunst der Zumutung, die dem Publikum eine heroische Haltung abver­langt. Was wir nicht brauchen, sind Ichomanen, die üblichen Alles­Veräch­ter, SpezialistInnen harmlosen Mittelmaßes. Ritter der Traurig­keit. Alles sollte dazu führen, daß man wieder sein Herz schla­gen hört. Man muss sein Herz schla­gen hö­ren! Und zwar zu Lebzeiten. Dafür ist es weder zu früh noch zu spät.  Demnächst mehr!

 

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2006/2007 initiierte und leitete pmwaschkau am Berliner Schauspiel Neukölln als Regisseur den Zyklus NEUE STÜCKE VOM RANDE DER WELT, der am 18.6.2007 mit dem 1. NEUKÖLLNER DRAMATIKERTREFFEN endete.