1989; Mit Heiner Müller im Kino;  Die Hamletmaschine; Robert Wilson & Lena Stolze ; Accattone von Pasolini; Heroen der Literatur; Das Dilemma des OFFtheaters. NNU.

 

paul m waschkau

Das Jahr, als ich mit Heiner Müller im Kino war und mir mit ihm den Film Accattone von Pasolini ansah . . . Erkundungen über das Phänomen Heiner Müller - Fokus neunzeHNhundertachtundachtzig/neunzehnhundertneunundAchtzig Berlin-West Zeit Reisen Bio Graphien

 

Mit  >>>  Heiner Müller – Pier Paolo Pasolini – Paul M Waschkau -

sowie Jean Baudrillard, Thomas Bernhard, WS Burroughs, Rolf Dieter Brinkmann, Frank Casdorf, Cronenberg, Gilles Deleuze, Christian Geissler, Rainald Goetz, Dimiter Gotscheff, Hamlet, Alexander Kluge, Dieter Kölsch, Hans Werner Kroesinger, Inge Müller, Otto Müller, Jacques Lacan, Jean Francois Lyotard, Claus Peymann, Sylvia Plath, Uwe Schmieder, Lena Stolze, Susanne Truckenbrodt, Paul Virilio & Oswald Wiener und ALS GAST >>>  DAS DEUTSCHE VOLK

 

INHALT > > >  I. Accattone von Pasolini   II. Die Hamletmaschine >> Inszenierung Robert Wilson mit Lena Stolze # Berliner Theatertreffen 1987  #

III. 1988//89 – Heroen der Literatur   IV. Der Typ Müller   V. DIE HEILIGE KUH  VI. Das Dilemma des OFFtheaters  VII. MESSAGE ANS VOLK

 

 

„Ein Mensch, der schreibt, ist niemals nur ein Schriftsteller.

Er ist ein politischer Mensch, er ist ein MaschinenMensch,

und er ist ein experimentierender Mensch.“

Gilles Deleuze in seiner Kafkastudie

„Für eine kleine Literatur“

 

 

 

 

HEINER M

 

Oft saß er in Fliegern die von Ost

nach West von West nach Ost flogen.

 

Er rauchte Zigarren wie Cubas Castro und

er trank Whiskey zwischen den Zeilen seiner

Hamletmaschinen. Ein Vergifteter von

Shakespearschen Zaubern und uralter Gottheit.

 

Schweigend wie ein einsamer Cowboy stand er

oft an der Bar in einem Salon aus gefährlichen

Killern schielte den silikonen Stripperinen

nach die für ihn Elektra spielten.

Wie eine Schlange wandte er sich

zwischen den Systemen und den schaurigen

Märchens Germaniens das sein Heroin war.

 

Sein Gesicht von der Geschichte gestaltet

verschroben gleich einer furchigen Landschaft

wie gemacht fürs Fernsehen und Kameras.

 

Lange Zeit dachte ich die Frau mit dem Kopf

im Gasherd sei Sylvia Plath doch es war seine Frau.

 

Irgendwann dann kam die Zeit des Tieres das

ihn in Fetzen riss und von innen her zerfraß.

 

Oft saß er in Fliegern die von Ost

nach West von West nach Ost flogen

und landete auf dem Schrottplatz von D

eine dieser letzten Absteigen

der Welt die wir Friedhöfe nennen.

 

pmw//RHODOS 2001

 

0. Erkundungen über das Phänomen Heiner Müller Fokus 1988/89 Berlin-West Zeit Reisen Bio Graphien

Also Müller. Dieser Zigarrenraucher. Whiskeytrinker. Dieser vor Interviewmikrofonen gemächlich sich Räuspernde. Der zwischen den Welten Taumelnde. Der Mann am Tresen. Der Mann in seiner Betonsilowohnung in Hellersdorf. Der Mann an der Schreibmaschine. In den hinteren Windungen seines Hirns den geheimen Auftrag versteckt, die dramatischen Weltstoffe in Müllerstoffe zu transformieren.  Als junger Mann auch: Der Mann im Fahrstuhl. Auf den Spuren Brechts, lederbejackt. Oder auf dem Weg zum Chef. Angstvoll ahnend, was da von ihm verlangt werden würde. Oder Belehrungen ausgesetzt. In welche Richtungen er übers Ziel hinaus geschossen sei. Um dann doch überraschenderweise in einer fernen Wüste von Peru zu stranden. Im Handgepäck die zusammenklappbare Hamletmaschine, die vielleicht außerhalb Europas ein Desaster anrichten könnte, weil sie dort ja gar nicht hingehört.

 

I. Accattone von Pasolini  

Das Jahr, als ich mit HEINER MÜLLER im Kino war und mir mit ihm den Film

ACCATTONE von Pasolini ansah, war das Jahr, in dem ich Kontakt aufnahm.

 

Das Filmkunstkino ARSENAL, damals noch in Schöneberg/Westberlin Welserstraße angesiedelt, hatte HM in seinem 60.Lebensjahr - im Jahr als Berlin Kulturhauptstadt Europas war - eine kleine Reihe von 7 Filmen „geschenkt“, die im Sommer ’88 liefen. Die Filme waren im ARSENALprogramm mit der Betitelung Von HEINER MÜLLER ausgesuchte Filme gekennzeichnet. HMs Name so groß geschrieben wie üblicherweise der Name des Filmregisseurs, also HMs Name so groß geschrieben, als wäre er  MÜLLER der Regisseur der von ihm ausgesuchten Filme, dagegen die Namen der Filmregisseure winzig. HM konnte sicher nichts dafür, und ich vermute, dass ihm das gar nicht recht war, aber vielleicht täusche ich mich.

 

Auf den ersten Blick schien HM der Regisseur des Filmes ACCATTONE zu sein. Eine seltsame Ankündigung. Ich wusste nicht, dass HM auch Filme gedreht hatte, die dieselben Titel trugen, wie die Filme anderer berühmter Regisseure. Fand das aber so verwunderlich nicht, weil die Schaufenster Westberliner Buchläden zu jener Zeit oft mit Büchern von HM dekoriert waren, die Titel von Shakespearestücken trugen. Natürlich enthielten die Müllertitel Zusätze wie - Shakespearebearbeitungen - oder - Texte aus der Fabrik - usf. Aber es gab im Rotbuchverlag einige Werke von HM mit Stücktiteln, die eindeutig Shakespearetitel waren und wenn es doch einen Hinweis gab, dann war der so klein wie Kleingedrucktes in Verträgen, die einen übers Ohr hauen wollen.

 

Die Filmvorführung war schlecht besucht, 7/8 höchstens 9 Zuschauer. Der Werbetrick schien nicht geklappt zu haben, der Filmregisseur Müller war ein Unbekannter. Sicherlich war es HM bei der Filmauswahl nicht allein auf die private Sichtung angekommen, sondern auch auf den Wink seiner Nähe zu Pasolini, Ähnlichkeiten im Wurzelwerk, Inspirationen, Politik. Wie gesagt, 7/8 Zuschauer, vielleicht 9. Unter ihnen ICH. Und unter ihnen HM. Und es geschah was geschah: Er MÜLLER saß neben mir WASCHKAU Ich WASCHKAU saß neben ihm MÜLLER. In Reihe

3.

Bei so wenigen Besuchern kaum zu glauben, da gerade die Leere eines Saales die Distanz unter den Menschen fördert, obwohl sich hier eine verschworene Gemeinde von HMfans oder PASOLINIfans zusammenfanden und alle hätten nah beieinander sitzen können. Vielleicht waren die Besucher in der Hoffnung erschienen, auf HM zu treffen. HM zu sehen. HM im Kino nah zu sein. Das hatte sich bestimmt herumgesprochen, dass HM zu dieser besonderen MüllerFilmReihe persönlich erschien. Aber nur ich, ich allein saß neben ihm, saß neben Heiner Müller. Zwei Einzelgänger in Reihe 3. Vor uns niemand, weit hinter uns das verstreute Restpublikum. Natürlich saßen wir nicht exakt nebeneinander, dazwischen fristeten 2 Freiplätze ihr nutzloses Dasein. Aber aus heutiger Sicht ist das - allemal - wie ein Nebeneinandersitzen, wie ein ZusammenInsKinoGegangenSein.

 

Dass ich neben HM saß, muss an der Reihe 3 gelegen haben und ist aus der Folge einer banalen Notwendigkeit erklärbar. Im alten Kinosaal des Arsenal saß ich, wenn möglich, immer in der Reihe 3, die mir in der Einschätzung einer persönlichen Sehschwäche für meine Filmsehgewohnheit die idealste Reihe schien, ob mit oder ohne Brille. Allerdings hätte ich mich zugestandenermaßen an diesem Abend nicht in Reihe 3 platziert, hätte ich bei meinem Eintreffen HM erkannt und dort bereits sitzen sehen. Aber als ich den Kinosaal zeitnah/knapp vor Filmbeginn betrat, staunend über die kleine Besucherzahl, schnellen Schrittes nach vorn auf die Reihe 3 zuschreitend, im anvisierten Blick den von mir begehrten Sitz, war die Reihe gänzlich leer. Der Film sollte gleich beginnen und ich setzte mich auf den rechten Randplatz der Reihe.

Gerade hatte die Filmvorführerin die Zugangstür zum Kino geschlossen, als aus dem ARSENALklo, das räumlich vorn rechts von der Leinwand gelegen war, ein Mann kam, der wie HEINER MÜLLER aussah. Gekleidet wie HM die letzten zehn zwanzig Jahre seines Lebens: Dunkler Anzug - HEINER MÜLLERkopf - HEINER MÜLLERgesicht - HEINER MÜLLERfrisur -  schwarze Kassenbrille. Er kam und blieb an meiner Seite stehen, räusperte sich verlegen und bat leise um Entschuldigung. Er wollte zu seinem Sitzplatz in Reihe 3, den er sich schon vor meinem Eintreffen, vor seinem Verschwinden auf dem ARSENALklo mit, ich weiß nicht was, markiert hatte. Im Aufstehen erkannte ich einen Fetzen von Schal, der 3 Plätze neben mir über der Sitzlehne hing. HMs Schal oder weiß der Teufel was, es hätte auch eine Socke gewesen sein können oder ein Taschentuch.

 

Ich stand auf. Ich stand vor Heiner Müller. Heiner Müller stand vor mir. Ich war zweifellos um einiges größer als er. Ich sah auf ihn hinab. Heiner Müller zwängte sich in der Enge der Kinoreihe an mir vorbei. Wir berührten uns leicht, unmerklich aber spürbar. Er räusperte sich wieder und setzte sich. Das Saallicht ging aus. Der Film begann. ACCATTONE von Pier Paolo Pasolini.

 

 

II.  Die Hamletmaschine # Inszenierung Robert Wilson mit Lena Stolze # Berliner Theatertreffen 1987  

Ich war des Filmes wegen ins Kino gegangen. HM interessierte mich zu jener Zeit wenig, ich kannte ihn als Autor noch nicht wirklich. 1987 hatte ich beim Berliner TT die grandiose Robert Wilson HamletmaschinenInszenierung im damaligen Theater am Halleschen Ufer (heute Hau II) mit der großartigen Lena Stolze in der Rolle einer greisen Ophelia gesehen. Ich war allein wegen Lena Stolze in die HM gegangen, die ich als ein junger sich dem Theater annähernder Mann in den 80iger Jahren als Schauspielerin sehr bewunderte und Mitte der 80iger als Penthesilea in einer Jürgen Gosch-Inszenierung am Hamburger Schauspielhaus gesehen hatte, in der sie den inneren Wahnsinn einer Verzweifelten in Ekstasen von Zeitlupe spielte.

 

Seither wird mir als Dauergerücht zugetragen, dass Hans Werner Kroesinger, der hier am 4.1. über die Arbeit mit Robert Wilson an der Hamletmaschine reden wird, den ER Kroesinger als Regieassistent oder Hospitant begleitete, dass Kroesinger in einer Wilson-Inszenierung als Krokodil mitgewirkt haben soll, das er naturgemäß in einem Krokodilkostüm zu spielen hatte. Das Gerücht hat sich im Laufe von Jahren dermaßen manifestiert, dass es mir längst wie bewiesen vorkommt, obgleich ich mich an ein Krokodil in der von Wilson inszenierten HamletMaschine von HM nicht erinnere.

 

EGAL. Dass diese Begegnung mit Müller/Wilson und peripher Kroesinger eine direkte ZEITschaltung ins Jahr 2003 haben sollte, konnte ich damals noch nicht ahnen. Denn im Jahre 2003 saß ich mit Dieter Kölsch und HW Kroesinger auf der Gründungscouch des von Uwe Schmieder ins Leben gerufenen NNU. 2003 inszenierte dann HW Kroesinger meinen Killer/Terror-Monolog „Hyänenherz/Traum eines Kamikazefliegers“ im ORPHTHEATER mit Uwe Schmieder in der Hauptrolle. 2003 war auch das Jahr, in dem ich die von Susanne Truckenbrodt inszenierte BILDBESCHREIBUNG Text HM sah, das ein unbeschreibliches Theaterwunder war; erlebt an einem Abend im Spätsommer von Schloss Bröllin. Und im Jahr 2003 sang ich in der von Uwe Schmieder inszenierten NNUperformance „Wo ist der Morgen, den wir gestern sah’n“ die Krähenpassage aus der Winterreise von Herrn Otto MÜLLER, während der Dieter Kölsch sterben musste. Diese Geschehnisse im Jahr 2003 sind dafür verantwortlich, dass ich hier & heute über das Jahr rede, in dem ich mit Heiner Müller im Kino war und mir mit ihm den Film Accattone von Pasolini ansah. So erklären sich Zeit Reisen Motive Bio Graphien. Aber ich lege meine Hand nicht dafür ins Feuer, dass jedes Detail, das ich erwähne, auf die Zeitsekunde genau stimmt.

 

Sich als Autor/Dramatiker mit einem anderen Autor/Dramatiker zu beschäftigen, heißt immer auch sich mit sich selbst zu beschäftigen. Verzweigungen Wurzeln Motive Ursprünge Blickrichtungen zu erkennen und sichtbar zu machen. Heißt Eingänge ins Labyrinth freizulegen. Heißt die Reise ins Biographische anzutreten. Es heißt auch, sich damit zu beschäftigen, was SCHREIBEN bedeutet. Wo wann wie der Schreiber begann, sich zu bewegen? In welchem Wort-Universum ist er gestrandet? Steht er im zersplitterten Raum? Steht er in einer digitalisierten Welt, die sich aus der Realität davon stiehlt  und von Maschinen dirigiert wird, auf verlorenem Posten? Ist er ein Ritter der traurigen Gestalt? Ein Überbleibsel? Fossil? Der Aussichtslosigkeit überlassen? Erledigt? Wird er nicht längst von kapitalistischen Interessen negiert? Von Jobcenteragenturen oder von einer zur Bewusstlosigkeit tendierenden Welt neutralisiert?

 

Was heißt Schreiben?

Was bedeuten poetische dramatische Texturen ?

Was bedeuten sie im Theater?

 

Wir bedienen uns den Wörten und Texten oft zu selbstverständlich. Eine elegante schräge Formulierung begeistert uns schnell, und wir sehen nicht mehr, was hinter ihr steckt. Schreiben und Nachdenken über einen Autor setzt eine tiefere Auseinandersetzung mit dem Wort und mit dem Metier voraus, in dem die Wörter leben. Es kommt darauf an, zu erkunden, was hinter, vor und zwischen den Räumen der Worte liegt. Wie und wo man sie mit Bedeutungen belegt. Oder wie sie verschandelt werden.

Nicht-Lesen muss heutzutage nicht mehr Ignoranz bedeuten. Bilder Töne Geräusche Stille Schweigen benutzt im zerebralen Zurechtfinden zwischen den Zeichen sind gleichwertige Navigationsinstrumente, mit denen man sich im Labyrinth der Zeit und ganz besonders im Theater bewegen kann.

 

 

III. 1988/1989 – Heroen der Literatur

Zurück ins Jahr, in dem ich Kontakt aufnahm. Aus den unendlichen Weiten der Buchstabenwüsten ragte HM zweifellos heraus. Aber Müller interessierte mich kaum. Er zählte nicht zu meinen Heroen der Literatur, die ZORNIGE HEROEN waren. Rainald Goetz, Rolf Dieter Brinkmann Thomas Bernhard. Oder der literarische Außenseiter Christian Geissler, dessen zeitpolitischer rafROMAN kamalatta 1988 erschienen war, Geissler starb letztes Jahr im Herbst 2008.

Zudem steckte ich am Ende meines Philosophiestudiums und als wesentlicher Mitherausgeber der ZS FÜR NOTWEHR UND PHILOSPHIE MINERVA noch tief in den Ausklängen postmoderner französischer Denkströmungen, die die 80iger Jahre beherrschten. WIR von der MINERVA waren nach Frankreich gefahren, um Virilio, Baudrillard, Deleuze, Lyotard für große INTERVIEWS zu treffen, die wir im MINERVAmagazin abdruckten, eine Strategie, die die MINERVA zwischen 1987-1991 zu DEM Westberliner Organ für under- und overgroundige Texte an sich machte; erhältlich nicht nur im gesamten Buchhandel sondern auch in Kinos wie dem fsk, dem Xenon, dem Eiszeit oder dem legendären RAMM/ZATA-theater und dem Ex&Pop, alles KULTorte des damaligen Westberlin. HM stand nicht auf unserer Liste.

 

Trotzdem konnte man nicht vermeiden, mit ihm konfrontiert zu werden, HM war irgendwie überall. Und wenn man glaubte, eine Nische entdeckt zu haben, Müller war schon da. Nicht wie ein Igel im berühmten Hase-Igel-Wettstreit sondern wie ein Raubtier. Ein poetisch/ dramatisches Raubtier zwar, aber ein Raubtier. Ein Raubtier, das fraß und fraß und fraß und als MÜLLERprodukt ausspuckte, was ihm unter die Finger kam. Das ist allerdings  - simpel betrachtet - die Arbeit des Schriftstellers. Rohstoffe beschaffen. Erfahrungen sammeln. Materialien klauen und nach maschineller Mehrfachverarbeitung ausspucken. Ist dieser Prozess einmal in Gang und idealerweise mit einem öffentlichen Medium verkabelt, läßt er sich kaum mehr aufhalten. Schreiben Output mediale Präsenz  werden zur Sucht und die Maschine - einmal in Gang – ist nicht mehr zu stoppen und zwingt den Schreibenden zur Preisgabe geheimer Wünsche und Gedanken.

 

Diese Wunden des Verlangens, die Schreibsucht des Autors und das Zwitterwesen Schriftsteller = Autor/ Mensch/Maschine habe ich versucht, in einem seit 1990 mehrfach publizierten Essay, der sogar in einem Schulbuch landete, anhand HMs Hamletmaschine, Alexander Kluges Schlachtbeschreibung und Oswald Wieners Megaroman Die Verbesserung von Mitteleuropa zu beleuchten.  Titel:  Der Adaptierte Maschinist #  Eine mehrdimensionale Phasenstudie zum Dasein als Einübung in die Gegenwart fern eines Manifestes des Veränderungsdenkens durch Kritik/ Für jene/ als Bedienerhilfe/ die das mit den Überspielkabeln noch schnallen!

 

Textuell war diese Studie meine intensivste Beschäftigung mit HM als schreibenden Menschen, mit HM als Kompaktmotor, mit HM als Verwertungsmaschine. Denn sicher ist die Hamletmaschine das Drama, in dem ER HM am konkretesten über sich als Schriftsteller & seine fatale politische Situation – als Autor zwischen den Welten – schreibt.

 

Hamletdarsteller/Müller: „Ich bin die Schreibmaschine... Ich bin mein Gefangener... Ich füttere mit meinen Daten die Computer. Ich bin die Datenbank. #  Meine Gedanken sind Wunden in meinem Gehirn. Mein Gehirn ist eine Narbe. Ich will eine Maschine sein.“

 

Die Maschine, sagt Lacan, „ist nicht schlechthin das Gegenteil des Lebendigen“. Dass sie gemacht worden ist, um etwas zu verkörpern, das sich Zeit nennt, das Geheimnis der Geheimnisse, und dass wir ohne sie nicht mehr leben können, offenbart uns ihre offene Bestimmung.

 

Das Positiv-Praktische an HMtexturen war, dass er das bessere Zitat-Futter für politische Allgemeinplätze zur Verfügung stellte. Nicht immer seine eigenen, oft aus Verschüttungen ausgegrabene und leicht variierte Zitate. Dieses Wissen erlangt man erst mit wachsender Lektüre. Aber wer auf dem weiten Feld der Kunst kein Eigentumsfanatiker ist - EIGENTUM IST DIEBSTAHL - akzeptiert die schon von Lautréamont praktizierte Methode und erkennt bestenfalls die Ähnlichkeit der Bibliotheken.

 

Die Kontrollbehörde für literarisches Eigentum - inkl. des gesamten Aufsichtsrates des Betriebssystems Literatur - ist weniger großzügig und deklassiert – insgeheim bis heute - bereits diejenigen als Mülleradepten, die textuelle Bildpassagen ebenfalls in Grossbuchstaben schreiben gleichfalls von Hans Albers gesungene Lieder oder prägnante deutsche Märchenbilder zitieren.

Wer aber dem Leser - heute -  bedeutungsschwangere Weltformulierungen im EGOformat der Art wie ICH BIN DIE - ICH BIN DER - ICH BIN DAS - ICH bin der NOTWENDIGENEUEUNTERGRUND serviert, der weiß wahrscheinlich nicht, wovon er redet und ist allein berauscht vom Sound der Formulierung.

 

ACH WIE GUT DASS NIEMAND WEISS

DASS ICH RUMPELSTILZCHEN HEISS.

 

IV. Der Typ MÜLLER

Wie die meisten schätzte ich Müller als Typen. Zigarrenraucher. Whiskeytrinker. Als großen Schweiger. Er war einer, der auf bewundernswerte Weise schweigen konnte, gelassen und wissend, dass man ihm irgendwann eine kluge Frage stellen würde, auf die er kryptisch kluge Antworten gab.

 

Suspekt an ihm fand ich, wie jemand an seiner Unangreifbarkeit arbeitete. Die Masse von Statements/Minifragmenten zu allen möglichen literarischen wie zeit/politischen Themen. Die Masse von Interviews, (3 Bände als vorl. Abschluss des 7100 S. umfassenden 12 bändigen Werkes bei SK erschienen -  natürlich zum 80.) die Interviews auch in ihrer Widersprüchlichkeit alle so subtil und doch präzise/weise, dass sie kaum hinterfragbar sind und die sprechende Person zu einer unangreifbaren Person machte.

 

Vielleicht war es das, was man in der DDR als Dramatiker wie HM es einer war, auf höchstem Niveau beherrschen musste, um auf höchstem Niveau zu überleben. Wenige können das. Und das Können ist nicht nur Rhetorik sondern eine Kunst. Eine Kunst, die sich stetig neu beweisen muss. Und sei es in der Kunst der Verstellung, die authentisch sein muss, damit sie nicht auffliegt. Eine Kunst, die im öffentlichen Mediendasein zum Überleben zwingend geworden ist. Eine Kunst, die zur Waffe gegen die Herrschenden wird. Eine Waffe mit Verzögerungseffekt. Eine Waffe, die um die Ecke schießt. Müllers Interviews sind Meisterwerke der Rede, ohne Komplizen der Macht zu sein. Sie skizzieren Schlachtfelder Wunden Offene Narben. Wenn sie schießen, wenn sie überhaupt schießen, schießen sie allerdings aus einer gesicherten Stellung.

 

Was WIR bzgl. HM empörend fanden und mit WIR meine ich die Redaktion der ZEITSCHRIFT FÜR NOTWEHR UND PHILOSPHIE MINERVA, zwischen 1987-1991  eben dem Westberliner Organ für subkulturelle Texte an sich, WIR fanden empörend, dass HM im schnieken gutbürgerlichen sauteurem Kreuzberger Café Mora eine Lesung gab, die 10 DM Eintritt kostete. Heute sind das banale 5 €,  gestern aber gigantische 10 Mark, die uns wie gefühlte 100 vorkamen. Westmark. DM. Denn man muss wissen, dass der Eintritt zu Lesungen seinerzeit fast immer umsonst war. Und wäre das Cafe MORA statt in Kreuzberg 61 in Kreuzberg36 gelegen, hätte man es Ende der 80iger Jahre ganz sicher mit Scheiße überflutet, wie es in SO 36 in noblen Restaurants des öfteren geschah.

 

HM hatte in Westberlin statt Leser zunehmend mehr Gläubiger. Bewunderer. Bewunderinnen. Er HM war schick geworden. Wer das nicht glaubte, glaubte es spätestens in den Tagen seines Todes. Mit Staunen sah ich, dass Freunde wie Freundinnen, die sich für seine Texte nicht interessierten, auch nicht ins Theater gingen, zu seiner Beerdigung auf den Dorotheenstädtischen Friedhof pilgerten. HMs Beerdigung war eine Sensation! So etwas hatte es in Deutschland noch nicht – oder sehr sehr lange nicht – gegeben oder wegen fehlender Medialität nicht geben können. Ich kannte so etwas nur aus Frankreich bei Camus, Sartre und Simone de Beauvoir. Die Nachrichtensendungen auch im Fernsehen erstatteten täglich Bericht über die Dauerlesungen aus Müllertexten am BE. Wie lange der Zauber anhielt, weiß ich nicht mehr. Sein Tod war ein echtes Ereignis und bei einem Ereignis wollen viele wenigstens gesehen werden. Denn ein Ereignis ist letztlich auch etwas, wo man neue Bekanntschaften schließen kann. Und das ist menschlich, allzumenschlich. Das Leben geht weiter.

 

HM wusste um seine vertrackte Situation, früh kam die Ahnung. Seinen Sonderstatus als Ost-West-Autor, seine Privilegien hatte er mit Schrecken/ Ekel erkannt und literarisch benannt. Der gewachsene Zustand widerstandsloser Akzeptanz seiner Person war ihm sicher nicht recht. Aber was tun? Sich gegen die Vereinnahmung wehren wie es rdBRINKMANN mit seiner Maschinengewehrmetapherattacke 1969 in der Akademie der Künste noch gelang, wäre in HMs Alter nutzlos gewesen. Der Kraftaufwand und der Preis, sich aus dem bequemen Zustand zu befreien, zu hoch. Die Bequemlichkeit der Zustimmung aus allen Lagern ist auch ein intellektuelles Gut, das das Alter schätzt. Der WEISE SEHER ZEITKRITIKER, dem man gern zuhört, der sich nicht mehr verteidigen muss, dessen Worte zu STEIN werden. Gemütlichkeit war fühlbar geworden, schreibbar schon lange und ich verüble ihm das nicht.

 

In der Einsamkeit der Flughäfen

Atme ich auf Ich bin

      Ein Privilegierter Mein Ekel

  Ist ein Privileg

           Beschirmt mit Mauer

Stacheldraht Gefängnis.

HM in HM

 

Die HamletMaschine, schreibt HM im Vorwort des Textheftes zur Wilson-Inszenierung, kann gelesen werden als Pamphlet gegen die mörderische Illusion, dass man in unserer Welt unschuldig bleiben kann.

 

V.  DIE HEILIGE KUH

WIR dürfen nicht vergessen, dass wir es, wenn wir es mit Heiner Müller zu tun haben, es mit einer HEILIGEN KUH zu tun haben. Heilige Kühe schlachtet man nicht, man streichelt sie. Schon der Versuch, sie zu schlachten, wäre ein aussichtsloses Unterfangen. Heilige Kühe kann man nicht schlachten, sie sind unantastbar. Allerdings geben HEILIGE KÜHE auch keine Milch mehr. Sie reizen nicht. Sie sind Inventar geworden. Alibi. Und dadurch Komplizen der Macht, die jederzeit als Beweisstück benutzt werden können. Daher wird schon der Versuch, eine Heilige Kuh zu schlachten, geächtet. Der Versucher und sein Versuch tot geschwiegen, er selbst bei lebendigem Leibe getötet. Im Stillen versteht sich, das hängt man nicht an die große Glocke. Selbst wenn es gelänge, die Kuh, die HEILIGE KUH, zu schlachten, so wäre das nur ein Sekundenstreich. Und das Schlachtbeil wendete sich gegen den Schlächter. Die Kuh selbst wird sich nach der Schlachtung rekonstruieren wie ein zersprengter Terminator und daraus stärker, glorifizierter, heiliger hervorgehen als – vor der Schlachtung, die ergo gar keine Schlachtung war.

 

HM hatte den Status einer HEILIGEN KUH  – spätestens - mit seinem 60.Lebenjahr erreicht, eigentlich früher, aber mit seinem 60. wurde es konkret. Noch im geteilten Land war ER DER deutschdeutsche Autor schlechthin. Kein anderer war deutscher als er. Gewachsen weise megapräsent. Auf allen Kanälen sichtbar. Nicht nur Autor sondern auch Akademiepräsident. Später Mitleiter im Triumphirat des BE, dann alleiniger Intendant. Seine 1995 zur Premiere gelangte Aufführung von BBs Arturo Ui läuft im BE noch immer° und wenn man Peymann glaubt, wird es bald kein Land der Erde mehr geben, wo HMs Inszenierung nicht gezeigt wurde. # °Stand 2009

 

Verkommt die Arturo UI-Inszenierung HMs am BE zum Exportschlager wie zum Touristenrenner, die HamletMaschine ist ein Geniestreich. Ein echtes Meisterwerk. In der deutschen Literatur – einzigartig, einmalig, markant, unvergleichbar. 1 Messe poetisch/ politischer Dramatik. Die Sprache der HamletMaschine führt heraus aus dem Revier genormter Dramatik, die der feuilletonistische, kulturelle Sprachkörper der Theaterdramaturgie bis dahin diktierte. Sie ist hochartifiziell sprechbar – wie bei Wilson 1987 – genussvoll aufsagbar wie bei Gotscheff 2007 – und selbst wenn belanglos hingerotzt bzw. versuchsweise weggerotzt - wie in Casdorfs KEANinszenierung, die HM ist immer wiedererkennbar, also unzerstörbar. Sie existiert für sich. Sie ist deutsches Kulturgut wie der tote Autor deutsches Kulturgut ist. Handhabbar und pflegeleicht. Die Institutionen reklamieren HM für sich. Sie umklammern ihn, sie lassen ihn nicht mehr los. Da es Zeitgenossen und eine Witwe gibt, wird er gefeiert ohne Ende. Manchmal bis zum Erbrechen. Bis zum Denkmal ist es nicht mehr weit. Jeder Widerstand ist zwecklos.

 

Möge Heiner Müller (selig, 80) aus seinem Grabe heraus nicht permanent mit Stücken schmeißen, die seine Huldiger irgendwann lähmen. Denn DIE MEISTERWERKE SIND KOMPLIZEN DER MACHT, die sich ihrer Komplizenschaft nur dadurch entledigen, wenn aus ihnen Steilvorlagen für wuchernde TraumLandschaften aus neueN Blumen NeueM Blut neueM Fleisch werden. Wer sich von ihnen nicht mehr lösen kann, geistert als Zombie durch die Wüste. Oasen gibt es nur wenige. Und die meisten sind vergiftet.

 

 

VI. Das Dilemma des OFF.THEATERS

Natürlich ist einer Gruppierung, die sich im 7.Jahr ihres Bestehens NotwendigerNeuerUntergrund=NNU nennt, erlaubt, sich auf HM zu berufen und zu spielen. Dabei empfinde ich im Jahre 2009 den Hinweis, daß das Stück „Die Umsiedlerin“ irgendwann in den 60iger Jahren mal abgesetzt wurde, als maginär. Zu behaupten, HeinerMüller wäre der letzte freie Autor für freies Theater, ist – falls bewusst behauptet - eine Verballhornung des Publikums oder eine Dummheit. HM zu gebrauchen, ohne ihn zu kritisieren, ist Verrat an HM.  Man muss fortan schamloser mit ihm umgehen.

 

Wenn 1 OFFtheater wie das noch leichenfrische ORPH.THEATER in all den Jahren seiner Existenz zu 90% Klassiker der dramatischen Literatur spielt, davon gefühlte 50% HMstücke, finde ich das seltsam. Wenn sich eine theatrale Gruppierung wie die 2003 im ORPH geborene - NotwendigeNeueUntergrund –  - sich gleichsam verhält - ebenso. Wenn ein OFFtheater wie die theaterkapelle seine wenigen GrossProduktionen mit Texten von LiteraturnobelpreisträgerInnen bestreitet, finde ich auch das seltsam. Man darf sich nicht wundern, daß man dann das Publikum, das man sich wünscht, nicht bekommt.

 

DAS DILEMMA DES OFFTHEATERS ist längst, daß deren ProtagonistInnen viel zu wenig wagen. Daß sie ihnen bekannte lebende schräge Autoren zwar oft schätzen, aber fürchten, mit ihnen zu scheitern. Eine fatale Strategie ist, daß sie zur Erlangung von großen öffentlichen Geldern, die nur selten kommen, mit Klassikern glänzen wollen. Das mag gelegentlich gelingen, aber Bahnbrechendes wird damit seltener erreicht als gutbürgerliche Unterhaltung. Und in den TheaterOlymp steigt ein OFFtheater nur dann auf, wenn es mit Unverhofftem aus der Tiefe kommt.

 

VII.  MESSAGE ANS DEUTSCHE VOLK

Dass es zur echten Messe = Message ans Volk nicht wirklich gereicht hat, war für HEINER MÜLLER vielleicht der größte Schmerz im Leben als öffentlicher Autor. Ein Schmerz tiefer sitzend als die Absetzungen seiner Stücke/Aufführungsverbote in den jüngeren Tagen seiner dramatischen Zeit, die er stets zu händeln wusste. Die echte Messe REDE DES DRAMATIKERS HEINER MÜLLER ANS DEUTSCHE VOLK sollte in den Novembertagen des Jahres 1989 stattfinden,  die Mauer war noch nicht gefallen.

Auf einem Podium auf dem Alexanderplatz – vor dem Kaufhaus des Ostens - stand HEINER MÜLLER neben Ulrich Mühe & neben zahlreichen anderen heute längst vergessenen Figuren der Wendegeschichte, die dem Volk in einfachen Sätzen mitteilten, wie es nun weitergehen solle. Wie es nicht weitergehen solle. Wie es nicht weitergehen dürfe. Das Volk hörte zu. Es verstand die einfachen Sätze. Das Volk war in großer, es war in euphorischer Stimmung. Es jubelte und applaudierte. Es bejubelte aber vor allem sich selbst, es war ja - DAS VOLK.

 

Dann war die Reihe an HEINER MÜLLER. Auch er HEINER MÜLLER wollte/sollte zum Volk sprechen, das zu 100tausenden auf dem Alexanderplatz stand und hören wollte, wie die Zukunft sich neu gestalten sollte. HEINER MÜLLER wollte zum Volk sprechen. Er hatte Zettel in der Hand. Er war vorbereitet. Trat ans Mikrophon. Räusperte sich. Schwieg für den Bruchteil eines Momentes, der der Bruchteil gewesen sein musste, in dem er Müller die Weite jener Menschenmenge, die Weite des Volkes vor sich sah. Kannte das Volk ihn - HEINER MÜLLER ? Und wollte das Volk, ihn - HEINER MÜLLER, den man in seinem Anzug/Trenchcoat und mit seiner Brille leicht für einen Vertreter der alten Machtelite hätte halten können, hören?  Mit einem Räuspern jedenfalls, das ahnte er,  konnte diese Menge nicht begeistert werden. Man musste sprechen. Man musste unter allen Umständen sprechen. Laut. Ins Mikrofon. Klar und in einfachen Sätzen. Nur mit einfachen Sätzen liess sich ein Volk erreichen. Mit Sätzen, die das Volk hören wollte. Mit Sätzen, die dem Volk etwas versprachen. Eine rosige Zukunft, zum Beispiel. Oder Wohlstand und Freiheit. Reisemöglichkeiten. Dafür spendete es Jubel , dafür spendete das Volk Applaus.

 

By the way - ich weiß nicht, was HEINER MÜLLER wirklich sagen wollte, vielleicht gibt es diese Rede irgendwo. DIE REDE DES DRAMATIKERS HEINER MÜLLER ANS DEUTSCHE VOLK.  Ich weiß nur –und ahne -- dass er etwas sagen wollte. Die Chance, die Möglichkeit direkt zum Volk zu sprechen, muss ihn fasziniert haben, mich macht es ratlos. HEINER MÜLLER wollte zum Volk sprechen, aber eine rosige Zukunft hatte er auf seinen Zetteln sicher nicht notiert. Dann der Moment, der Moment der etwas Großes einleitet, etwas Gewichtiges, eine Wahrheit. Aber die Wahrheit, die Wahhrheit HEINER MÜLLERs lag hier nicht mehr in den Worten, sie lag  - versteckt - im Räuspern, im Zeitsprung des Dazwischen. HEINER MÜLLER wusste das. Er trat vor und er trat zurück. Er hielt die große Rede nicht. Er wäre, hätte er die große Rede gehalten, die er - HEINER MÜLLER - imstande gewesen wäre zu halten, nicht gehört worden. Er wäre vom Volk gestört oder ausgepfiffen worden. HEINER MÜLLER musste geahnt haben, wie sinnlos, wie sinnlos dieses Unternehmen sei. Seine Rede, die Wahrheit seiner Rede ans Deutsche Volk, würde die Menge nie erreichen. Was tat er - HEINER MÜLLER - da an diesem Ort überhaupt? Er - HEINER MÜLLER - sollte zum Volk sprechen?  Wie absurd. Wie unvorstellbar. Wie falsch.

 

HEINER MÜLLER sprach natürlich, irgendwas, etwas Kurzes. Verlas einen „Aufruf unabhängiger Gewerkschaften“, den er gespickt hatte mit Anspielungen auf kommende Daumenschrauben und Verluste. Es waren dies die Sätze, die das Volk NICHT hören wollte. Die es zu Pfiffen und Zwischenrufen animierte. Die es skeptisch machte gegenüber diesem Typen da im Trenchcoat und mit IntellektuellenBrille. Und erst als er – nach mehreren Pfiffen und Zwischenrufen wie „Aufhören.Aufhören“ – nach erst knapp 4 Minuten seinen persönlichen SchlussSatz sprach, kam so etwas wie Heiterkeit und Erleichterung auf.

 

Wenn in der nächsten Woche die Regierung zurücktreten sollte, darf auf Demonstrationen getanzt werden.

 

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An diesen kurzen Moment aus den 89er Novembertagen erinnerte ich mich, als ich - im Jahr als Heiner Müller starb - ein Plakat des Filmes NAKED LUNCH von David Cronenberg sah, textueller Organspender William S. Burroughs. Ein Freund, der in der DDR wegen der öffentlichen Verteilung von RosaLuxemburg- und BertoldBrecht-Zitaten sowie wegen der Zerstörung des Antifaschistischen Schutzwalles - er hatte nach seiner Ausweisung aus der DDR auf Westberliner Mauerseite, die auch zum Staatsgebiet der DDR zählte, einen weißen Strich durch die Mauerkunst gezogen – dieser Freund Wolfram Hasch, der zu mehreren Jahren DDRgefängnis verurteilt und inhaftiert worden war, hatte es in seinem Zimmer hängen: Das NAKED LUNCH-FILMplakat.  Es zeigte eine große zu einem Zombie mutierte Schreibmaschine. Er hatte es um ein inzwischen berühmtes HMzitat erweitert. 

 

 

Zehn Deutsche sind natürlich dümmer als Fünf Deutsche.

 

Wie wahr.

 

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paul m waschkau//2009

 

Vortrag gehalten am 2.1.2009 im Café Müller/tk Berlin im Rahmen des vom NNU initiierten Heiner-Müller-Festivals

 

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Zum Abschluss dieser Message folgt ein HeinerMüller_MiniInterview, das sich auf der CD – Hyde im 20.Jahrhundert

befindet, erstmals publiziert bei SUBsTANZ PRESS BERLIN 2000 - und das allein aus 1 RäusperCollage besteht.

 

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