paul m waschkau > >  ZUR FRAGE DER PIRATERIE

 

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ZUR FRAGE DER PIRATERIE

 

Schon kurz nach meinem Besuch der Berufsbe­ratungsstelle bei der Arbeitsagentur IV habe ich mich in meiner Wahl für die Pirate­rie ent­schie­den. Natürlich, sprach der Kundenberater in gewähl­ten Worten zu mir, dass auch auf diesem Ge­biet die Stellen knapp seien und das Berufsrisiko nicht zu unterschät­zen. Aber schließlich sei ein je­der sei­nes Glückes Schmied und wo er könne, würde er mich unterstützen, meine Motivation gefalle ihm sehr. Jedoch sei für den Beruf des Piraten keine Ju­gend im Alter not­wendig, nur Kühle und Jugend im menschlichen Hass. Ich spürte meine Be­ru­fung. Die Aus­sicht, einmal an der systematischen Schändung von Menschen teilzuhaben, lockte mich an. Der Lohn erschien mir gar nicht wichtig. Allein das vor meinen Augen erstrahlende Bild, ei­ne ge­knebelte Nackte wie eine Sache mein Eigen zu nennen, sie im Winseln von Angststöhnen zu benutzen, ihr zuletzt meinen ihren Leib zerfetzenden Dolch ins zitternde Fleisch hin­ein und hinauszujagen, schien mir einen Jah­res­lohn wert. Denn ich war krank vom gleich­för­migen Grau unserer Städte. Vom Kadaver­gestank der Ein­kaufspassagen. Vom Farben­müll, der meine Au­gen zerblin­dete.

 

Mit aufgestauter Lust und rasender Wut über die Gleichgültigkeit all jener oben genannten human beeings meiner Umgebung bezüglich des unfassbaren Elends der Welt, des Hungers, der Kriege wollte ich endlich echte menschli­che Qualen ernten. In die Hautporen der anderen hin­ein­brüllen und ih­nen ihren letzten Funken Hoff­nung ausblasen, damit sie mich anbeten und feiern als Herr ihres Lebens, das ich ihnen schenke oder ihnen entreiße.

 

Warum ich nicht Schänder in den Zeitfab­riken un­seres Staates geworden bin?

 

Gute Frage. Ich bewarb mich natürlich. Legte meinen mit Aus­zeichnung bestandenen Hasstest des Jobcenters und andere Urkunden, die mir meine Befähigung in der Abrichtung des Men­schen bestätigten, bei. Und stellte Ar­beits­bedingungen. Schrieb meine Lohnvor­stellungen ins Bewerbungsgesuch. Skizzierte gesellschaftliche Visionen.

 

Heute weiß ich. Der Kanzler fürchtete meine Offenheit. Zwar war man von meinen Qualitäten über­zeugt und sagte mir eine große Karriere vor­aus. Bot mir sofort den Präsidentenposten ei­ner Hochsicherungsanstalt an. Aber, das war die Be­dingung: Alles hätte farblos ablaufen müs­sen. Die Schändereien, die täg­lich routi­nemäßig gesche­hen, durften nicht sichtbar werden. Unter keinen Um­ständen durf­te Blut fließen. Kein Sturm durchs Ge­bälk zie­hen, wovon man draußen Wind bekäme... zumindest in unserem Land nicht.

 

Also, ich hätte mich gelangweilt. Doch ich konnte, würde ich in geheimer Mission die Gewässer vor den Grenzen Europas unsicher machen, auf denen fremde unerwünschte Menschenmassen zu uns flüchten, mit groß­zü­gigen Subven­tionen rechnen. So rüstete man meine Privat­piraterie mit bestem Material aus. Schänder und Schlächter auf eigene Faust ließ man mir mei­ne Lustgier, in juc­kenden Wunden zu kratzen. Damit die nicht verhei­len. Blut spuckend eitrig bleiben. Und als Gefahrenquelle dauerhaft brodelt.

 

Die Re­gierungen schätzen ja das Ver­sprühen von Angstjauche,

die die Körper zum Zucken und Tanzen bringe, die man dann

zur Abschreckung aller subtil durch die Nachrichten laufen lässt.

 

Schon vor Fahrtbeginn ka­men mir die Bilder und Schmer­zensschreie im Genital hoch. Die Glut im Blut endlich im asch­fahlen Fleisch hilfloser Krea­turen meine Ziga­retten ausdrücken zu dürfen, die ich zuvor gar nicht rauchte. Wirkliche Schreie, statt nur das erstickende taube Gewinsel in den Warteschlan­gen der To­desanstalten zu hö­ren. Wie meine Ohren juck­ten! Man gestattete mir, fern des Nebels Herr aller Er­oberungen zu sein. Klei­ner unbedeu­tender zwar nur, selten war damit eine Weltöffent­lichkeit zu erringen, aber fleisch­licher Eroberungen. Die Gewässer und Gebiete dafür waren schnell aus­gemacht, sozu­sagen über die Sender und Satelliten zu studieren. Vollkom­men ge­büh­renfrei. Meine Crew brauchte nicht lan­ge zu suchen, wir wurden fündig, wenn wir es brauchten. Und schließ­lich stach unser Schiff in See...

 

 

ZUR FRAGE DER PIRATERIE

 ist in leicht veränderter Version Teil

des dramatischen Schauerfeldfragmentes

DIE GALEERE DER KALTBLÜTER

UA 1998 GARNTHEATER BERLIN

 

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