Schon kurz nach meinem Besuch der
Berufsberatungsstelle bei der Arbeitsagentur IV habe ich mich in meiner Wahl für
die Piraterie entschieden. Natürlich, sprach der Kundenberater in gewählten
Worten zu mir, dass auch auf diesem Gebiet die Stellen knapp seien und das
Berufsrisiko nicht zu unterschätzen. Aber schließlich sei ein jeder seines
Glückes Schmied und wo er könne, würde er mich unterstützen,
meine Motivation gefalle ihm sehr. Jedoch sei für den Beruf des Piraten keine Jugend im Alter notwendig,
nur Kühle und Jugend im menschlichen Hass. Ich spürte meine Berufung. Die Aussicht,
einmal an der systematischen Schändung von Menschen teilzuhaben, lockte mich
an. Der Lohn erschien mir gar nicht wichtig. Allein das vor meinen Augen
erstrahlende Bild, eine geknebelte Nackte wie eine Sache mein Eigen zu
nennen, sie im Winseln von Angststöhnen zu benutzen, ihr zuletzt meinen ihren
Leib zerfetzenden Dolch ins zitternde Fleisch hinein und hinauszujagen, schien
mir einen Jahreslohn wert. Denn ich war krank vom gleichförmigen Grau
unserer Städte. Vom Kadavergestank der Einkaufspassagen. Vom Farbenmüll, der
meine Augen zerblindete.
Mit aufgestauter Lust und rasender
Wut über die Gleichgültigkeit all jener oben genannten human beeings meiner
Umgebung bezüglich des unfassbaren Elends der Welt, des Hungers, der Kriege
wollte ich endlich echte menschliche Qualen
ernten. In die Hautporen der anderen hineinbrüllen und ihnen ihren letzten
Funken Hoffnung ausblasen, damit sie mich anbeten und feiern als Herr ihres
Lebens, das ich ihnen schenke oder ihnen entreiße.
Warum ich nicht Schänder in den Zeitfabriken unseres Staates geworden
bin?
Gute Frage. Ich bewarb
mich natürlich. Legte meinen mit Auszeichnung bestandenen Hasstest des
Jobcenters und andere Urkunden, die mir meine Befähigung in der Abrichtung des
Menschen bestätigten, bei. Und stellte Arbeitsbedingungen. Schrieb meine
Lohnvorstellungen ins Bewerbungsgesuch. Skizzierte gesellschaftliche Visionen.
Heute weiß ich. Der Kanzler
fürchtete meine Offenheit. Zwar war man von meinen Qualitäten überzeugt und
sagte mir eine große Karriere voraus. Bot mir sofort den Präsidentenposten einer
Hochsicherungsanstalt an. Aber, das war die Bedingung: Alles hätte farblos
ablaufen müssen. Die Schändereien, die täglich routinemäßig geschehen,
durften nicht sichtbar werden. Unter keinen Umständen durfte Blut fließen. Kein
Sturm durchs Gebälk ziehen, wovon man draußen Wind bekäme... zumindest in
unserem Land nicht.
Also, ich hätte mich gelangweilt.
Doch ich konnte, würde ich in geheimer Mission die Gewässer vor den Grenzen
Europas unsicher machen, auf denen fremde unerwünschte Menschenmassen zu uns
flüchten, mit großzügigen Subventionen rechnen. So rüstete man meine Privatpiraterie
mit bestem Material aus. Schänder und Schlächter auf eigene Faust ließ man mir
meine Lustgier, in juckenden Wunden zu kratzen. Damit die nicht verheilen.
Blut spuckend eitrig bleiben. Und als Gefahrenquelle dauerhaft brodelt.
Die Regierungen schätzen
ja das Versprühen von Angstjauche,
die die Körper zum Zucken
und Tanzen bringe, die man dann
zur Abschreckung aller
subtil durch die Nachrichten laufen lässt.
Schon vor Fahrtbeginn kamen mir
die Bilder und Schmerzensschreie im Genital hoch. Die Glut im Blut endlich im
aschfahlen Fleisch hilfloser Kreaturen meine Zigaretten ausdrücken zu
dürfen, die ich zuvor gar nicht rauchte. Wirkliche Schreie, statt nur das
erstickende taube Gewinsel in den Warteschlangen der Todesanstalten zu hören.
Wie meine Ohren juckten! Man gestattete mir, fern des Nebels Herr aller Eroberungen
zu sein. Kleiner unbedeutender zwar nur, selten war damit eine Weltöffentlichkeit
zu erringen, aber fleischlicher Eroberungen. Die Gewässer und Gebiete dafür
waren schnell ausgemacht, sozusagen über die Sender und Satelliten zu
studieren. Vollkommen gebührenfrei. Meine Crew brauchte nicht lange zu
suchen, wir wurden fündig, wenn wir es brauchten. Und schließlich stach unser
Schiff in See...
ZUR FRAGE DER PIRATERIE
ist in leicht veränderter
Version Teil
des dramatischen
Schauerfeldfragmentes
DIE GALEERE DER KALTBLÜTER
UA 1998 GARNTHEATER BERLIN
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