paul
m waschkau # DER FALL NACKTES LEBEN
gehalten am 17.12.2012 am
Mainfranken Theater Würzburg
Meine sehr geehrten Damen & Herren! Werte Kollegen & Kolleginnen!
An den bizarren Wirren des Theaterbetriebes Interessierte!
Ich
begrüße Sie zu einem nicht ganz leichten Thema.
Ich
begrüße Sie zur DEBATTE im FALL NACKTES LEBEN.
Ich setzte
voraus, dass Sie, die Sie hier sind, wissen, weshalb Sie hier sind. Ich dagegen
hoffe, es im Laufe des Abends herauszufinden. (...)
Allein die
Statements (...) , die als Futter für die Debatte daherkommen,
müssen WIR noch ertragen. Da müssen wir durch. Das zählt zum Ritual dieses
Abends, den man wohlwollend als eine Art kulturelle Aufarbeitung verstehen
könnte hinsichtlich eines kuriosen wie einzigartigen Vorkommnisses in der
deutschen Theaterlandschaft der letzten 20 Jahre. Damit der FALL NACKTES LEBEN
an diesem Hause endlich ein Ende findet. Damit man das Stück hier ABHAKEN und
ERLEDIGEN kann. Damit eine Ruhe eintritt.
Der Anlass
meines Kommens ist also ein bizarrer. Denn nach allem HIN- & HER ist
vermutlich nicht damit zu rechnen, dass die Theaterleitung einen neuen, anderen
Versuch wagen wird, diese von diesem Hause mit dem LEONHARD-FRANK-PREIS ausgezeichnete
DRAMATISCHE KOMPOSITION "Nacktes
Leben ...oder... bei lebendigem
Leibe" auf die Bühne zu katapultieren. Dafür war der Schnitt zu
radikal. Dafür scheint die Angst, es könnte wieder scheitern, wohl zu groß.
Dafür hat man sich als Ablenkung über die Textur ein Urteil gebildet, das keine
Revision zulässt. Schon dass dieser heutige Abend mit der Thematik „NACKTES
LEBEN kontrovers“ überhaupt
stattfindet, bedurfte es eines nachdrücklichen Drängelns. (...)
Weil radikale Schnitte aber Wunden erzeugen, die zwar verheilen, doch
untergründig weiterwuchern, wird dieser FALL nicht wirklich verschwinden. Dafür
waren die Wellen, die die Absetzung der Inszenierung im Betriebssystem Kultur
& Theater im Sommer dieses Jahres schlugen, zu ungewöhnlich. Zu Massiv und
zu weit gestreut. Denn der Text, der bleibt, hat - ganz unbeabsichtigt - als
Form einer Grenzüberschreitung und damit als Angriff auf eingefahrene
Strukturen - eine gewisse Marke gesetzt. Und sobald dieses Stück an irgendeinem
anderen Ort vorgestellt wird - wie bereits geschehen - wird man auch den FALL
der ABSETZUNG reflektieren und erneut zur Sprache bringen. (...)
Was nun
ist so ungewöhnlich am FALL NACKTES LEBEN ?
Was ist so unverständlich? Und
so wenig nachvollziehbar?
Das Stück
war schließlich nicht vom Himmel auf die Bühne gefallen. Keine unsichtbare
Macht hatte verlangt, es auf den Spielplan des MFT zu setzen. Da stand kein
Regisseur, der verzweifelt vor Textlosigkeit nicht wusste, was er als nächstes
inszenieren sollte. Ungespielte leichtere Stücke gibt es schließlich genug,
sogar von mir. Und hätte es keine Besetzung und keine Terminierung für eine
anvisierte UA zum 16.Juni 2012 gegeben, ich selbst wäre nicht wirklich verwundert
gewesen.
Nun ist es aber eine Tatsache, dass der Vorlauf ein gänzlich anderer
war. Bekanntlich wurde der Text vom MFT Würzburg & der
Leonhard-Frank-Gesellschaft mit dem Leonhard-Frank-Preis ausgezeichnet, von der
Theaterleitung auf den Spielplan gehievt, ein Regisseur engagiert und die
Besetzung komplettiert. Die Textur und das, was in ihr verhandelt wird, war
also längst und ausgiebigst bekannt. Doch befürchte ich, dass man darüber nicht
mehr reden möchte. Dass man den Vorlauf hier am MFT lieber totschweigen will,
um abseits davon und neutralisiert über „Gewalt im Theater“ zu diskutieren.
Bereits am
Abend der Preisverleihung am 16.6.2011 hatte ich zugegeben, dass die
dramatische Komposition BEI LEBENDIGEM LEIBE mein mit Abstand undramatischster
TEXT sei. Dafür aber nah dran an der Ausschreibungsthematik, die 2011 von der
biopolitischen Begrifflichkeit NACKTES
LEBEN des italienischen Philosophen GIORGIO AGAMBEN geprägt
war. In seiner HOMO SACER_STUDIE spannt Agamben den Bogen von den deutschen KZs
und den sowjetischen Gulags, den Lagern in Kriegs/ Krisengebieten, modernen geschlossenen
Asylstationen bis zum amerikanischen Guantanamo, von der modernen Medizin bis
zur Gentechnik und dem biopolitischen Kontrollstaat. Auf terminologisch
eindringliche Weise skizziert Agamben mit historischen und aktuellen Bezügen -
wie die schleichende juristische Umdefinierung von unerwünschten Staatenlosen
zu Illegalen, von Feinden und Aufständischen zu "unlawful combatants"
oder zu „Nicht-Menschen“ zu einer gezielten Ausgrenzung bestimmter Menschengruppen
aus dem humanitären Völkerrecht führt und sich auf höchst bedenkliche Weise zu
einer politischen Praxis der Moderne entwickelt. Und dies ist - in aller
bedenklichen Verkürzung eines sehr komplexen Sachverhaltes - die Basis des
Ausnahmezustandes, innerhalb dessen der betroffene Mensch aus den Zonen
staatlichen Rechts ausgeschlossen und damit aus dem Konzept der Menschlichkeit
ausgestoßen, radikal entrechtet zur Be-Nutzung und zur Tötung frei gegeben
wird.
Die
dramatische Komposition NACKTES LEBEN oder BEI LEBENDIGEM LEIBE
bewältigt dieses schmerzliche Thema menschlicher Unmenschlichkeit in historischen
wie in fiktionalen Szenerien, aus Opfer wie aus Tätersicht und aus einer rein
beschreibenden Beobachterposition, die Dokumente filmszenisch verdichtet. Der Prozess des dramatischen Schreibens gleicht hier
einer Schlacht der Schreibmaschine gegen den Zeitungsausriss. Einer Schlacht,
in der uns Hören und Sehen vergehen kann. Einer Schlacht, die zwar Leichen
anhäuft, aber nicht tötet und auch keine Gefangenen macht. Einer Schlacht, die
auf dem Schlachtfeld des Körpers die Schmerzen des Lebens
besingt wie in einem allumfassenden Menschheitsrequiem, dessen Teil wir sind.
Denn als Wesen sind wir in eine Schlacht hineingeboren, die Menschschlacht und
Existenzkampf zugleich ist.
Als Dichter/Dramatiker, der sich dieser Thematik
annimmt, darf man vor den Ungeheuerlichkeiten der Wirklichkeit und der eigenen
Phantasie nicht zurückschrecken. Zudem sollte man sich
nicht fragen, ob man all das der Welt, die sowieso eine große Schmerzarie ist,
zumuten kann. Man hat
nicht nur das Recht, sondern sogar die Pflicht sich bis an den Abgrund zu
schreiben, auch wenn der Abgrund bisweilen nur aus dem Abstand zweier Zeilen
besteht. Weil die Frage ZULETZT nicht
ist, wie weit ich gehen will, sondern die Frage ist, ob ich in der Lage bin, so
weit zu gehen, wie ich gehen muss.
Im
Diskurskontext der Absetzung wurde der Text oft in unmittelbare Nähe zu ARTAUDs
Manifest eines Theaters der Grausamkeit gerückt und mit PASOLINIs Film „Salo
oder die 120 Tage von Sodom“ verglichen. Darüber hinaus theoretisiert meine
essayistische PREISREDE „VERSUCH ÜBER DAS NACKTE LEBEN oder BEI LEBENDIGEN
LEIBE“ die Monstrosität dieses brisanten Themas auf politisch kulturelle Weise
im Verhältnis zum Auftrag des Theaters in heutiger Zeit.
Weil mE
DAS THEATER HEUTE MEHR SEIN MUSS als der
Klecks einer Vorstellung eines Textes vor Publikum. Mehr als die
performative Darstellung von Körper oder Sprechkunst. Mehr als das
Unterhaltungsprogramm einer Gemeinde, die sich damit legitimiert doch nur die
Zeit tot schlägt, hatte ich Monate vor der angesetzten UA von NACKTES LEBEN
wiederholt angeregt, dieses schwierige Thema mit seinen monströsen Dimensionen zusätzlich in einem Symposium zu
behandeln, um den TERROR DER ZEIT über alle Instanzen hinweg frei zu verhandeln.
An dieser Stelle Energien freizusetzen und Impulse zu fördern, wäre eine
Investition in die Zukunft des Theaters. Als Autor mit einem Philosophie- &
Staatsrechtsstudium im Rücken, hätte ich mich befähigt gesehen, daran nicht nur
teilzunehmen, sondern es – falls gewünscht - zu initiieren und zu leiten.
Was aber nützen diese Anregungen,
wenn das Theater sich im Glanze
schwieriger
Ausschreibungsthematiken zwar sonnt, dann aber weigert, sich zu bewegen?
Bis
zuletzt und weit über die Zeit der Absetzung hinaus hatte das Mainfranken
Theater die zum 16.6.2012 angesetzte Uraufführung
der
dramatischen Komposition „NACKTES LEBEN oder BEI LEBENDIGEM LEIBE“ wie folgt
beworben:
„In seiner
Erbarmungslosigkeit spricht diese Komposition den Zuschauer direkt
und als
mündigen Menschen an, dem das Unerträgliche durchaus zuzumuten ist.“
Unverkennbar
die Nähe zu Ingeborg Bachmanns Diktum:
DIE
WAHRHEIT IST DEM MENSCHEN ZUMUTBAR.
Dagegen provoziert die
kurzfristige Absetzung der Inszenierung unter dem Vorwand der „Unzumutbarkeit“
„Zum Schutze des Publikums“
heikle Fragen:
Sollte man das umstrittene Stück
NACKTES LEBEN besser vergraben/verbieten/verbrennen?
Wo liegt
die Gefahr einer Ästhetisierung des Bösen?
Und WAS
DARF dramatische/theatralische KUNST – NICHT?
Ein
Rezensent von Agambens HOMO SACCER__studie schreibt
„Das Buch ist wichtig. Es gehört
– verbrannt. Denn es beschädigt
die geistige Gesundheit von
Gutmenschen und den damit verbundenen Lebenslügen.“
#
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# 9 Thesen als Fazit zum „Würzburger Theaterskandal“
von Michael
Henke, Erster Vorsitzender der Leonhard-Frank-Gesellschaft
Öffentlich lesbare
Eigenbeiträge des Intendanten Hermann Schneider oder des Regisseurs Dieter
Nelle
sind dem INVASOR
nicht bekannt. # STAND: 22.2.2013