paul m waschkau

 

 

Wozu ist der Lärm da? Der Lärm ist da damit man nicht alles versteht. # Oswald Wiener in: Die Verbesserung von Mitteleuropa

 

> > > STÖRER oder Vom Nutzen des Lärms < < <

 

Jetzt, da der Saal, ein Festsaal, mit Geladenen sich gefüllt hat und die Ehrung beginnen könnte, fragen die Anwesenden sich, nicht nur, wo der zu Ehrende, Störer, bleibt, sondern wer Stö­rer ist. Niemand kennt Störer, niemand kennt den, der hier ge­ehrt werden soll und er, auf den alle warten, weil ohne ihn, worum es geht, nichts geht, fehlt noch. Vielleicht, denke ich, Wartender wie alle anderen, als am Rande meines Gehörs ein Geschwätz, das vor Empörung über die anstehende Ehrung schäumt, ich dieses, da es von einer der seit Jahrzehnten kur­sierenden Schmähschriften ENTHÜLLUNGEN STÖRER BETREFFEND genährt ist, blitzschnell als verlogen entlarve, über Störer von denen geführt wird, die Störer garantiert nicht kennen können, vielleicht bin ich der einzige im Saal, der Stö­rer in Wirklichkeit kennt, weil ich ihn, bevor er unentdeckt damals und noch unbekannt untergetaucht war, rechtzeitig wie er stets meinte, längst kannte. Aber ich schweige.

 

Störer, nach intensivstem Studium der Geräusche, Kapazität auf dem Wissenschaftsfeld der Lärmforschung. Es gibt kein Zentrum, hatte er mir, es war im D-train von Brooklyn nach Manhattan, wir kannten uns nicht, zugeschrieen, in dem er, ausgerüstet mit einer Vielzahl hochempfindlicher Aufnahme­geräte, deren Dezibelmessungen zig Stellen hinter dem Komma anzeigten, unentwegt Geräuschstärkeuntersuchungen vornahm. Der größte Krach, nirgends sei er so hochintensiv, herrsche im K-train, entschuldigte Störer, ihm mußte mein Unverständnis an seinen Messungen aufgefallen sein, seine Anwesenheit im, wie er vermeinte, lärmuninteressanten D-train, der jedoch, wie ich Jahre später erfahren sollte, sein Lieblingstrain unter den New Yorker Untergrundbahnen ge­wesen ist. Er, Störer, Europäer, benutzte den D-train, ziellos, mehrere Male täglich, der Ausblick abseits der anstrengenden Geräuschstudien, Exkursionen, auf die trostspendende Archi­tektur, böte ihm Ruhe. Leider sei es aber, so Störer, Lärmfor­scher, nicht möglich, den Krach, gleich welchen Ortes, au­thentisch wiederzugeben und eine Errichtung aus lärminten­sivsten zusammengeklaubten Geräuschen immer nur Simula­tion. Erst wenn die originären Geräusche vollkommen verhüllt würden, ummantelt in schallisoliertes Material, könnten die simulierten Geräusche als authentische gelten. Die Unterschei­dung aber übersteige die Fassungskraft unseres Gehörs.

 

In seiner Dissertation „Vom Nutzen des Lärms“, die als bahnbrechend bezeichnet werden muß, fragt Störer die Grundsatzfrage.

 

Wozu ist der Lärm da? 

DER LÄRM IST DA DAMIT MAN NICHT ALLES VERSTEHT.

 

Dieser Satz, der Störergrundsatz, for­derte erste Feinde, was von ihm Vorsicht wie fortan ständiges Wechseln des Schlaf- wie Aufenthaltsraumes verlangte. Störer verkroch sich schließlich, verschwand, zog sich aus der ihm zunehmend feindlich gesinnten Öffentlichkeit zurück, schwieg, stellte sich scheintot, pflegte seinen wissenschaftli­chen Notruf, seine sieglosen Eroberungen, die Kultivierung der privaten Nieder­lage. Irgendwann bewegte er sich doch wieder im Freien. Drinnen, verriet er, passiert mir nichts. Ich muß - und koste es das Leben - hinaus. Die Frage, die mich treibt, ist nicht die, wie weit ich gehen will, die Frage ist, bin ich in der Lage, so weit zu gehen, wie man gehen muß. Er setzte die Studien fort und wagte sich fortan in neue ihm unbekannte Zentren der Stille.

 

Später dann, Störer hatte seinen Lehrstuhl längst verlassen, trafen wir uns in einer Zeit unermesslichen Kraches wie unbe­schreiblicher Geräusche, die auf nichts mehr eine Rücksicht nahmen, im K-train wieder. Längst trugen die Menschen Lärmschutzschoner, pressten fremdartige Geräusche über technische Anlagen in ihr Gehör oder waren überhaupt taub. Der Großteil wußte jedoch von der eigenen Taubheit nichts. In einem zunächst aussichtslos erscheinenden Kampf gegen den unerträglichen Außenkrach und unzählbaren Apparaturen von skrupellosen Dreckwortschleudern planten wir Lärminstallati­onen, drohten mit Krachanschlägen. Störers bis heute unwider­legte Theorie mittels noch höheren und konzentrierteren Lärms den unerträglichen zum Ver­schwinden zu bringen, zumal der eigene Krach, wenn organi­siert, der erträglichste ist, löste un­ter den Geräuschmonopolis­ten einen Schrecken aus. Zur Um­setzung von Störers Theorien in die Wirklichkeit ist es jedoch nie gekommen, die Installati­onen und Anschläge waren stets recht­zeitig verraten worden.

 

Blind näherte Störer sich den Geräuschen des Todes. Uner­müdlich und nicht aufgebend, Störer landet im Stilletrakt. Da brach nach Bekanntwerden seines Falls eine Unruhe aus und draußen wurde es langsam still. Zunehmend setzte das Unwi­derlegte sich durch.

 

Dann, nach Jahren, Störers Entlassung, die Auflagen waren aus Gründen der Sicherung des Geräuschstandards die höchs­ten, als man ihm von offizieller Seite die Räume, die er für die Fortführung seiner Forschung begehrt hatte, zuwies, ließ Störers Wirkung über Nacht nach.

 

                             ES GEHÖRT EINE GROSSE KRAFT ZUR LÄRMVERDRÄNGENDEN WIRKUNG.

 

Wir telefonierten. Ein Rauschen durchspülte die Leitung, was Störer sehr störte. Die Geräuschvertilger waren in jenen Tagen auf unabsehbare Zeit ausgebucht und selbst dann, wenn sie einen Auftrag ausführten, war niemand sicher, ob die Geräu­sche auch so, wie man es wünschte, vertilgt wurden. Kommen Sie ins Zentrum, brüllte er, Störer, zur Ehrung, mir ins Ohr.

 

Warten auf Störer, Störer kommt nicht, Störer läßt auf sich warten. Er kann nicht wirklich wissen, daß ich hier bin. Viel­leicht käme er dann, um kurzentschlossen mit mir zu ver­schwinden. Vielleicht aber ist ihm auf dem Wege zur Ehrung eine Bewunderin seiner Störkunst über den Weg gelaufen, ist mit ihr durchgebrannt. Das wäre ihm, denke ich, sicher heute noch zuzutrauen. Dann sage ich mir, daß der Gedanke absurd ist: Du hast Störer etliche Jahre nicht gesehen, wer weiß, nicht einmal ich kann wissen, wie er heut aussieht.

 

Wir haben uns gewöhnt, sagt da einer, der er, Störer, selbst sein könnte, das sei das Problem, daß ein Lärm denn in diesem Zentrum, in dem wir nun, was einst Schmerzen hervorrief, dem Krach lauschen werden, weil er zur Ausnahme geworden ist, nicht mehr stattfindet. Störer, wo bleibt er nur, habe Unge­heures geleistet. Da bricht plötzlich, wie alle hoffen endlich, kurz vor Beginn der Ehrung, die aber, wie gesagt, ohne Störer nicht stattfinden wird, im Vorsaal des Saals eine laute Erre­gung aus, weil, wie sich herausstellt, die von Sicherheitsbe­amten, Ordnern, Kontrolleuren Zurückgewiesenen, Nichtgela­dene!, mit Stimmen und lauten Rufen, ob es sich um Anhänger oder Antistörer Störers, womöglich gar um gegnerische Flug­schriftverfasser, Pamphletisten, handelt, weiß niemand, Einlass begehren und scheinbar zu allem bereit sind, sogar, so heißt es, zur Verhinderung der Ehrung. Er muß, denke ich, sehr nah sein. Dagegen herrscht hier, im Saal, Ruhe. Der Krach des Aufruhrs, die Türen sind schallisoliert, stört uns Wartende nicht, wir wissen von ihm nur, weil Verspätete uns vom Lärm im Vorsaal berichten. Wir sind beruhigt. Wenn die Unruhe draußen ist, kann uns nichts geschehen. Trotzdem wächst im Inneren, im Saal, eine Stimmung, deren geduldige Spannung, die noch anhält, schon bald, käme Störer tatsächlich nicht, nicht gleich, also erst sehr viel später, oder überhaupt nicht, in Ungeduld umschlagen könnte und das erträgliche leise Gemur­mel unter den Anwesenden in ein unerträgliches Gedröhne.

 

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Unter dem alleinigen Titel „STÖRER“ erschien diese Kurz.Prosa bereits 1990/1991 in div. Literatur- wie Philosophiezeitschriften, darunter MINERVA-ZEITSCHRIFT FÜR NOTWEHR & PHILOSOPHIE No.13/14; Berlin 1990 & SCHAFOTT DRAMMAT – MAGAZIN FÜR ZEITVERDICHTUNG VIVI-SEKTION STÖRFÄLLE; Serie 1; BERLIN 1991. Jetzt, wo ich sehe, daß die Diskussion über LÄRM auf vielen Ebenen & Plattformen wieder relevant wird, habe ich mich entschlossen den STÖRERtext  - leicht überarbeitet -  hier zu präsentieren. # pmw_2010

 

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